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In Istanbul sagen Tausende „NEIN“

An der Kundgebung gegen die neue AKP Verfassung, zu der die Emek Partei, die Freiheits- und Solidaritätspartei (ÖDP), die Kommunistische Partei Türkei (TKP) und die Volkshäuser (Halkevler´i) aufgerufen hatten, haben 10.000 Menschen teilgenommen. Sie bekundeten hier, dass sie gegen die neue Verfassung stimmen werden, weil sie für eine demokratische und menschennahe Verfassung sind, die diese Verfassung nicht ist.
Teilgenommen haben an der Protestaktion die Vorsitzenden der aufrufenden Organisationen. Weiterhin die Vorsitzenden der DISK (Konföderation der revolutionären Arbeitergewerkschaften), der Föderation der Alevi-Bektaschi Gemeinden, der Sekretär der TMMOB (Berufsverband der türkischen Ingenieure und Architekten) Istanbul, der Pir Sultan Abdal Gemeinde und viele mehr.
Viele verschiedene Forderungen wurden während der Demonstration formuliert; Jugendliche forderten kostenlose Bildung, Frauen riefen nach Gleichberechtigung, Werftarbeiter haben Unfälle mit tödlichen Folgen protestiert, Textilarbeiter haben sichere Arbeitsplätze gefordert.
Die erste Rede der Kundgebung sprach der Vorsitzende der TKP, in der er sagte, dass man hier zusammen gekommen sei, um die Lügen der AKP und ihrer Befürworter aufzudecken. Diese Lügen sollen zu einer Zustimmung zur neuen Verfassung verhelfen, diese gelte es aufzudecken. Man wolle den Widerstandsgeist, den die TEKEL Arbeiter geweckt hatten, weiterführen. Die Regierung und ihre Unterstützer würden Gegner der neuen Verfassung angreifen, aber Sozialisten und Revolutionäre würden solchen Parteien und Bewegungen schon seit 100 Jahren ihr „Nein“ entgegenbringen.
Die zweite Rede der Kundgebung wurde von dem Vorsitzenden der Emek Partei von Levent Tüzel an die Menschen gerichtet. Die AKP behaupte zwar eine demokratische neue Verfassung formuliert zu haben, würde aber sämtliche Institutionen und Organisationen, die in Folge des Putsches vom 12. September 1980 entstanden seien, aufrechterhalten. Diese neue Verfassung würde kein weiteres Ziel verfolgen, als die eigenen Strukturen der AKP innerhalb des Systems zu stärken. Tüzel sagte, „In dieser neuen Verfassung kommen die Arbeiter, die Werktätigen, die Naturschützer, die Jugendlichen, die Frauen und ihre Forderungen nicht vor“. Sie würden bis zum Tag der Abstimmung alle ihre Kräfte dafür einsetzen, die Lügen der Regierung aufzudecken und die Menschen dazu mobilisieren, gegen diese Verfassung zu stimmen, so Tüzel. Dieser Zusammenschluss, diese Initiative werde auch nach der Abstimmung weiter zusammen arbeiten. Tüzel sprach auch die kurdischen Menschen an und forderte sie auf, an der Abstimmung teilzunehmen und mit einem „Nein“ zu votieren.
Der nächste Redner wies darauf hin, dass die AKP die 1980 erhängten Jugendlichen zu Propagandazwecken missbrauche und verurteilte dies scharf.
Der Vorsitzende der ÖDP machte erneut deutlich, dass die neue Verfassung in nur zwei Wochen fertig war und sagte, „26 voneinander losgelöste, unabhängige Punkte werden uns hier aufgezwungen. Wir sagen in erster Linie hierzu `Nein´“.

Mal sehen was draus´ wird!

Çetin Diyar


Diejenigen liberal-islamischen Personenkreise, die die AKP als den Wegbereiter zu mehr Demokratie sehen/darstellen, erwarten sehnsüchtig die Rede Erdogans, die am 3. September in Diyarbakir abgehalten werden soll. Da die Stimmen der kurdischen Bevölkerung beim Referendum über die neue Verfassung am 12. September eine entscheidende Rolle spielen wird, hoffen diese Kreise, dass Erdogan mit seiner Rede die Kurden zu einem “Ja zur Verfassung” überzeugen wird.
Die BDP hat öffentlich kundgetan, dass sie das Referendum über die neue Verfassung boykottieren werden, weil die neue Verfassung nichts beinhalte, was zur Lösung des Problems bezüglich der kurdischen Forderungen beitragen könnte. Vertreter von regionalen Finanzorganisationen haben aber bekundet, dass sie der neuen Verfassung ihre Ja-Stimme geben werden. Und es ist auch offensichtlich, dass die AKP in den kommenden Tagen Druck auf die BDP ausüben und versuchen wird auf das Stimmverhalten der kurdischen Bevölkerung einzuwirken. Bleibt abzuwarten, was sich nach der Rede des Präsidenten am 3. September in Diyarbakir zeigen wird.
Und was passiert nach dem 3. September?
Während eines Fernsehprogramms wurde BDP Vizepräsidentin Gülten Kisanak gefragt, was sie von der Rede des Präsidenten erwarte. Darauf antwortete die Vizepräsidentin, dass einem Versprechen, welches im Flugzeug, in Diyarbakir und kurz vor den Wahlen abgegeben wird, keine Bedeutung beigemessen werden kann. Mit dieser Einschätzung erinnerte Kisanak indirekt an die Worte des Präsidenten Erdogan “das Kurdenproblem, ist mein Problem”, die er in Diyarbakir im August 2005 zu den Menschen sprach. In der Tat ist es nicht schwierig zu erkennen, dass die Versprechungen und jedes einzelne Wort, die der Präsident in Diyarbakir aussprechen wird, nichts als hohle Phrasen sein werden, wenn man sich anschaut, was er in den letzten Tage getan und gesagt hat.
Erdogan beschimpfte diejenigen, die behaupteten, Regierungsvertreter hätten sich mit Öcalan getroffen, als “Ehrlose” und versuchte später seine Aussage mit den Worten abzumildern “nicht die Regierung würde ein solches Treffen durchführen, sondern der Staat”.
Dieses Verhalten zeigt in erster Linie, dass die AKP nicht ernsthaft daran interessiert ist, die positive Atmosphäre nach dem Waffenstillstand der PKK zur Lösung des Kurdenproblems und für einen dauerhaften Waffenstillstand aufzugreifen und zu nutzen.
Ein weiteres Beispiel ist die Zustimmung und der Lob Erdogans zur Rede des Vorsitzenden des Militärgeneralstabs Kosaner, der sagte “der Kampf gegen den Terror kann nicht ohne Waffen geführt werden”. In den Fernsehsendungen, in denen der Präsident auftritt, beschuldigt er die BDP mit Separatismus, weil sie eine “demokratische Autonomie” fordern. Weiterhin behauptet er, dass die BDP mit ihrem Abstimmungsboykott die Bevölkerung bedrohe und die AKP Regierung die kurdische Bevölkerung mit jeglichen Sicherheitsmaßnahmen schützen werde. Aber selbst Kleinkinder dieser Region wissen, wer in dieser Region – besonders zu Wahlperioden –  wen bedroht. Weiterhin beschuldigte Erdogan ständig die Opposition, dass sie Schritte in Richtung von Demokratisierung verhindere. Gleichzeitig lehnt er jedoch die Forderungen der CHP Opposition bezüglich einer Generalamnestie und der Herabsenkung der Wahlbarriere auf 7 Prozent ab. Bis vor kurzem beschuldigte Erdogan die MHP Politik mit dem “Blut von gestorbenen Soldaten” zu machen. Er spricht sich jedoch mit den selben Argumenten gegen eine Generalamnestie aus.
Jetzt ist deutlich zu erkennen: die AKP versucht in der Kurdenbewegung eine Erwartungshaltung aufzubauen und mit der Zustimmung der kurdischen Bevölkerung zur neuen Verfassung diese Menschen für ihre politischen Ziele zu gewinnen. Dass aber die kurdische Bewegung nichts auf Worte und Versprechungen hält, sondern konkrete Forderungen stellt und diesbezüglich konkrete Maßnahmen (Stopp von militärischen Operationen, Entlassung von verhafteten kurdischen Politikern, Herabsetzung der Wahlbarriere und eine Verfassung, in der die Staatsbürgerschaft nicht ethnisch definiert wird) sehen will, stört das Bild, die Atmosphäre, die die AKP aufbauen möchte. Dies wiederum macht den Präsidenten Erdogan verständlicherweise zutiefst aggressiv.
(Übersetzung von Serpil Karahan)

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