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„Gegen die Fußsoldaten der Sarrazins – trotz Polizeigewalt“

Simon Ernst ist Jugendvorstand der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) in NRW-Süd. Er ha…

In Dortmund haben am 4. September 15.000 Antifaschisten gegen einen Naziaufmarsch demonstriert. Du warst mit dabei. Warum hast du dich an den Protesten beteiligt?
Weil es in meinen Augen nicht sein kann, dass faschistische Organisationen und Versammlungen nicht sofort und ein für allemal verboten werden. Außerdem stand die Demonstration in Dortmund ja auch unter dem Zeichen des Antikriegstags. Das Motto der Nazis „Nie wieder Krieg – nach unserem Sieg“ ist die denkbar größte Vergewaltigung der Ziele des Antikriegstags. Schließlich waren es die Faschisten mit dem deutschen Nationalsozialismus an der Spitze, die der Menschheit ihren bisher grausamsten Krieg aufzwangen. Der zweite Weltkrieg, der halb Europa zerstörte, große Teile der restlichen Welt verwüstete und zig Millionen Menschen ermordete, begann mit dem Angriff der deutschen Wehrmacht auf Polen am 1. September 1939. Die deutschen Nazis wollten die Welt erobern, unterwerfen und ausplündern. Seit 60 Jahren wird dieses Datum weltweit als „Antikriegstag“ begangen. Der Antikriegstag ist sehr wichtig, zumal deutsche Soldaten wieder in aller Welt Krieg führen und der deutsche Militarismus zu bedrohlicher Größe anwächst.

Wer waren die Organisatoren der Anti-Nazi-Demo?
Die Demo wurde von einem extrem breiten Bündnis „Dortmund stellt sich quer!“, dem zahlreiche Antifagruppen, Gewerkschaften, Migrantenorganisationen, bürgerliche und antikapitalistische Gruppen und Parteien angehörten, organisiert. Ziel war die Verhinderung des Naziaufmarschs. Hervorzuheben ist der kämpferische Aktionskonsens der Bündnisgruppen. Zur Verhinderung des Naziaufmarschs begannen gleich bei ihrer Anreise um zehn Uhr hunderte Antifaschisten mit der Blockade der Bahnsteige und Gleise des Dortmunder Hauptbahnhofs. Die Polizei griff nach wenigen Minuten brutal ein und verletzte mehrere Personen im Gesicht bis Blut floss. Die Antifaschisten wurden aus dem Bahnhof geprügelt. Nach mehr als zwei Stunden fielen die letzten Blockaden im Bahnhof, die Nazianreise wurde deutlich erschwert, die geplante Sammlung der Nazis am Nordausgang wurde verhindert: Sie mussten auf Schleichwegen in die U-Bahn zum Hafen gebracht werden.

War der Protest in deinen Augen erfolgreich?
Der „Aufmarsch“ der Nazis hat ja zum Glück gar nicht stattgefunden. Durch die entschlossene antifaschistische Haltung von mehr als Zehntausend Menschen haben wir die Nazis sowohl aus der Innenstadt, als auch von der Gedenkstätte „Steinwache“ fernhalten können. Was es dann stattdessen gab, war nur ein Haufen von wenigen Hundert Nazis am Hafen, von der Öffentlichkeit fast nicht zu sehen. Das ist ein großer Erfolg. Andererseits haben wir unser Ziel nicht erreicht, die Nazis ganz aus der Stadt zu halten.

Die Polizei sagt, sie selbst habe die Nazis vor der Öffentlichkeit abgeschirmt – und nicht die Antifaschisten…
Das ist wirklich eine dreiste Behauptung! Während die Nazis mit einem Großeinsatz von tausenden Polizeibeamten im Krieger-Outfit eskortiert und bewacht wurden – was das Eindringen der Nazis in die Stadt überhaupt erst ermöglichte – wurden wir Antifaschisten am Protest konsequent gehindert: Mit einem bemerkenswerten halb-militärischen Großeinsatz riegelte die Polizei mit mehr als 4.000 Beamten den Hafen mit drei Kilometern Umgebung für die 400 Nazis ab. In dieser „Sperrzone“ durften laut Aussage der Polizisten vor Ort – verfassungswidrig! – keine Versammlungen stattfinden. Mit Wasserwerfern, Hebenbühnen-Fahrzeugen, Kamerwagen, tausenden Gittern und mit Spurensicherungseinheiten und so genannten Greiftrupps zur Kriminalisierung des Protests wurden die Faschisten bewacht und die Antifaschisten gejagt. Unter Beraubung unserer Grundrechte und mit zum Teil brutaler körperlicher Gewalt. Ich selbst wurde festgenommen und für zehn Stunden in einen Käfig gesperrt, als ich mit einer Gruppe Jugendlicher friedlich durch eine Straße lief – Kilometer von den Nazis entfernt! An anderer Stelle ließ die Polizei eine von ihr selbst verbotene Spontandemo von 500 Nazis kilometerweit gewähren. Die Zeitungen „Der Westen“ und die „Westfälische Rundschau“ berichten außerdem über eine „kameradschaftliche Atmosphäre“ zwischen Polizei und Nazis in Dortmund-Wambel.


Wieso ist es deiner Meinung nach für einen Gewerkschafter wichtig, sich antifaschistisch zu betätigen?
Ich denke, das sollte gerade in diesem Land eine Selbstverständlichkeit sein. Nach der Erfahrung der Machtübergabe an die Nationalsozialisten 1933 und der folgenden Zerschlagung der Gewerkschaften durch den Faschismus müssen wir die Sache langsam kapiert haben: Die Faschisten sind die schlimmsten Feinde der Arbeiterbewegung.


Was macht die Antifabewegung falsch, dass sich fast nur „Organisierte“ an den Demos beteiligen?
Das sehe ich ein bisschen optimistischer: Die Mehrheit der Demonstranten und Blockierer ist hier, wie so oft, sicher nicht aus dem engeren Kreis der „Antifa“-Gruppen gekommen. Es stimmt aber, dass noch lange nicht alle Möglichkeiten ausgenutzt werden, die breite Masse der Werktätigen, Jugendlichen usw. in die Proteste mit einzubeziehen. Viele Gruppen der Antifabewegung richten sich „nach innen“ aus und betreiben größtenteils Arbeit in ihrer kleinen „Szene“. Dieses „Sektendenkten“, wenn ich mich mal scharf ausdrücke, findet man leider bei vielen Gruppen mit „autonomer“ bzw. „anti-nationaler“ Ideologie, besonders aber bei den „Antideutschen“.


Was kann man machen, damit Antifa-Ideen wieder „normal“ werden – und nicht rechte Ideen?
Aufgabe auch und gerade von uns Gewerkschaftern ist es, das antifaschistische Bewusstsein in unseren Betrieb, an unsere Uni und Schule und in unser Wohngebiet zu tragen und dort so breit wie möglich zur Teilnahme an Demos zu mobilisieren. Wir von der Jugend aus NRW-Süd haben über unsere Kontakte an Schulen und Betrieben mobilisiert, eine Info-Veranstaltung mit Demo-ABC ausgerichtet, die Anreise für Bonn und Umgebung organisiert und sind mit vielen absoluten „Neulingen“ zur Demo gefahren, um uns gegen die Nazis zu stellen. Dieses Bündnis hat überhaupt einen sehr breiten Rahmen gespannt und einen tragfähigen Aktionskonsens erarbeitet. Das war ein Schritt in die richtige Richtung, aber der Weg ist noch weit. Es gibt außerdem heftigen Gegenwind von Politik, Polizei und Medien.
Falls du von der aktuellen gesellschaftlichen Tendenz in Richtung Rassismus sprichst (Sarrazin&Co) – was können ,

Gewerkschaftsjugenden dagegen tun?
Ja, ich spreche auch von Sarrazin, Steinbach, Seehofer und Konsorten. Das ist ein ganz anderes Kaliber, als ein paar Hundert Nazis in Dortmund. Was diese „Herren“ und „Damen“ aus den Reihen von CDU, CSU und SPD so erzählen, unterscheidet sich nur wenig von der Anti-Islam-Hetze der „PRO“-Bewegung und dem ganzen braunen Sumpf. Da sollten wir sowieso sehr wachsam sein, nicht nur, was die NPD betrifft. Die BILD-Zeitung titelte am selben 4. September „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!“ – und brachte darunter ausländerfeindliche und arbeitslosenfeindliche Hetze, wie zu Nazizeiten. Wie die Nazis spielte sich die Zeitung auf, als wenn sie in der Defensive wäre. Das Gegenteil ist der Fall: Die Offensive der BILD und der Nazis flankiert nur die ausländerfeindliche und militaristische Politik und den Sozialkahlschlag der schwarz-rot-grün-gelben Regierungen der letzten Jahre und soll uns Werktätige und Arbeitslose, Deutschstämmige und Migranten auseinandertreiben. Wir gehören aber zusammen! Nur gemeinsam – und dafür sind die Gewerkschaften da – können wir uns den Sarrazins, seinen braunen Fußsoldaten und dem Sozialkahlschlag wirkungsvoll entgegenstellen. Da haben wir als Gewerkschaftsjugenden für zu kämpfen. Unsere wichtigste Aufgabe ist die Mobilisierung direkt in den Betrieben, wo noch viel zu selten antifaschistische Ideen ankommen oder überhaupt eine politische Arbeit läuft. Da schauen oft nur ein paar gleichgültige Bürokraten ab und zu vorbei, die den Protest eher einschläfern. Wir müssen die Kollegen aber aufrütteln! (NeuesLeben)

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