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Kliniken drohen Schließungen

Melike Sümbül

Nach der Krise kommt das Sparen. Davon sind jetzt auch zahlreiche deutsche Kliniken betroffen. Ihnen droht die Schließung oder Privatisierung. Die Mitarbeiter sind geschockt. Die Bildung und Forschung an verschiedenen Universitätskliniken ist gefährdet.
Das Universitätsklinikum Charité in Berlin ist mit seinen vier Standorten, 14.000 Mitarbeitern und 3200 Betten eines der modernsten und größten Kliniken in Europa. Dieses Jahr feiert es sein 300 jähriges Bestehen. Acht Nobelpreisträger beherbergten die Hörsäle dieser Wissenschaftsstätte seit der Gründung. Heute tropft von ihren maroden Decken das Regenwasser. Im Bettenhochhaus der Charité vergeht nahezu kein Tag, an dem kein Rohrbruch verzeichnet wird. Die medizinische Fachbibliothek ist auf einer ehemaligen Krankenstation in der neunten Etage des 21 Stockwerke hohen Gebäudes notuntergebracht. Kurz gesagt, die Charité ist sanierungsbedürftig. Aber das ist keine neue Erkenntnis. Seit Jahren ist bekannt, dass vor allem in den Standort Berlin-Mitte investiert werden muss. Doch bis jetzt ist wenig geschehen.

Privatisierung statt Investitionen
Seit Jahren schon versucht sich die Politik um Investitionen zu drücken. Stattdessen werden Pläne über Privatisierungen gebrütet. Im Jahr 2002 hatten Ex-Charité-Manager einen Verkauf des Bettenhochhauses geplant, um anschließend eine Kooperation mit dem Bundeswehrkrankenhaus einzugehen.
2007 wollte man das Bettenhochhaus um sieben Stockwerke erhöhen, um die Zusatzräume an Pharmafirmen zu vermieten. Zu dieser Entartung der Gesundheitsversorgung kam es dann doch nicht. Aber man tüftelt weiter an der Gesundheit und Forschung. Leider zu Gunsten der Wirtschaft und nicht der Bevölkerung. Für das Geld, welches in den vergangenen Jahren den Banken ausgeschüttet wurde, muss nun die Gesundheit hinhalten. Sei es durch die Gesundheitsreform oder durch Privatisierungen und Schließungen von Kliniken.


„Sanieren statt Abwracken!“
So beschloss der Berliner Senat im Juni dieses Jahres ein Eckpunkte-Programm zur weiteren Entwicklung der Berliner Universitätsmedizin. Darin legt der Senat fest, dass zwar alle dreibettenführenden Standorte in Berlin erhalten werden und die Charité mit etwa 330 Millionen Euro an Investitionsmitteln ausgestattet wird. Im Gegenzug muss sie allerdings den Abbau von 500 Betten garantieren. Bettenabbau würde auch einen Personalabbau nach sich ziehen, sowie die Patientenversorgung beeinträchtigen. Gleichzeitig bietet der Senat einen Zuschuss für einen Klinikneubau an, sollte dieser „wirtschaftlicher“ sein als die Sanierung des Bettenhochhauses. Diese Offerte gibt dem Vorsitzenden des Fakultätspersonalrates, Christoph Berndt, Grund zur Kritik: „Das Hochhaus soll „abgewrackt“ werden und der Senat ist bereit, sogar eine „Abwrackprämie“ dafür zu bezahlen.“
Mitarbeiter sowie Personalratsmitglieder befürchten, dass der Neubau zu teuer sein würde und die volle Kapazität des Bettenhochhauses bei weitem nicht ersetzen könne. Zudem ist die Charité Mitte mit einem modernen unterirdischen Versorgungssystem ausgestattet, welches zur DDR-Zeit mit dem Bettenhochhaus zusammen errichtet wurde und die Gebäude auf dem Campus miteinander verbindet. Im Falle eines Abrisses würde es seine Funktion verlieren.
Offen bleibt zudem, ob nicht ganze Stationen geräumt und an Firmen vermietet werden könnten, wie es bereits 2007 geplant wurde.

Sanierung wäre möglich
Dabei wäre eine Sanierung durchaus möglich. Denn das Hochhaus ist so gebaut, dass es bei laufendem Betrieb saniert werden könnte. Das Gebäude besteht aus zwei voneinander unabhängigen Teilen mit eigenen Aufzugsystemen und Versorgungsstrukturen. Zwar sprach sich der Vorstandsvorsitzende der Charité Prof. Dr. Karl Max Einhäupl nach Protesten von Mitarbeitern für den Erhalt des Bettenhochhauses aus, doch die Entscheidung liege beim Senat. Und dieser lässt sich Zeit. Doch Zeit hat die Charité nicht mehr. „Ich habe das Gefühl, die Politik fordert heraus, dass das Haus zerfällt, dann kann man es nämlich abreißen“, beklagte sich ein Beschäftigter bei einer Mitarbeiter-Versammlung.
Uni-Lübeck droht ebenfalls Privatisierung
Der Universität Lübeck droht ein ähnliches Schicksal wie der Charité. 2009 plante die schwarz-gelbe Landesregierung in Schleswig-Holstein die Schließung des Medizinstudiengangs an der Universität Lübeck zum Wintersemester 2011/12. Schleswig-Holstein bilde zu viele Mediziner aus, so die Begründung des Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen. Doch Fakten sprachen für den Erhalt der Universitätsmedizin. Mit insgesamt fünf Studiengängen belegt Lübeck im CHE-Ranking jährlich einen der ersten beiden Plätze national und liegt europaweit auf Platz 6 der Rangliste. Angesichts des Ärztemangels in Deutschland war die Aussage zudem nicht besonders glaubwürdig. Der eigentliche Grund waren Ersparnisse in Höhe von 24 Millionen Euro im Jahr, die sich die Landesregierung durch eine Schließung erhoffte.
Diese wurde zwar durch die erfolgreichen Proteste von Studierenden und Mitarbeitern verhindert. Jetzt droht der Uni jedoch der Verkauf. In wenigen Wochen will das Kabinett die UKSH (Unikliniken Schleswig-Holstein) Klinikkonzernen zum Verkauf anbieten.

Carsten Becker – Vorsitzender der ver.di Betriebsgruppe Charité

Das große Problem an der Charité ist der Investitionsmangel. Die Krankenhausfinanzierung in Deutschland sieht so aus, dass die Patientenversorgung über die Krankenkassen bezahlt wird und das Land als öffentlicher Eigentümer die Investitionsmittel zahlt. Allerdings sind in den letzten 20 Jahren nicht genügend Investitionsmittel in die Charité geflossen und die Gelder, die bewilligt wurden, sind nicht freigegeben worden. Man redet immer von einem Investitionsstau. Das stimmt aber nicht, denn da ist ja kein Geld da. Es gibt eher einen Investitionsmangel. Der führt dazu, dass viele Gebäude immer sanierungsbedürftiger werden. Hier geht es jetzt darum, dass die Charité genügend Geld vom Land bekommt, was auch ihr gesetzlicher Anspruch als öffentliche Einrichtung ist. Dieses Geld wird aber vom Land verweigert. Ganz im Gegenteil: das Land zahlt immer weniger Geld, z.B. an die Medizinische Fakultät. Ein Beschluss aus dem Jahr 2003 legt fest, dass die Zuschüsse für die Medizinische Fakultät jedes Jahr reduziert werden, insgesamt um 98 Millionen Euro. Dies zog auch eine Reduzierung von Forschungsleistungen mit sich.
Der Abbau von 500 Betten bedeutet für die Beschäftigten vermutlich auch Personalabbau. Wenn früher in einem Bett ein Patient zwei Wochen lag, werden jetzt im selben Bett in den zwei Wochen vier Patienten liegen. Die Aufenthaltsdauer wird sich verringern, wie es heutzutage auch schon der Fall ist. Das bedeutet eine höhere Arbeitsverdichtung für die Beschäftigten und in der Dimension von 500 Betten ist sicherlich auch ein Personalabbau zu befürchten.

Hr. Reschke – Rohrleger an der Charité

Ich habe den Bau des Hochhauses mitgemacht. 1977bin ich als Lehrling an die Charité gekommen. Nach der Wende wollte die Politik das Haus hier gleich zumachen, weil es politisch ein Dorn im Auge war, genauso wie der Palast der Republik. Da hat die Politik ja sogar zugegeben, dass das Gebäude aus politischen und nicht aus wirtschaftlichen Gründen abgerissen werde. Die Ausrede, dass das Gebäude Asbest verseucht sei, ist schwach. In den Baujahren war das der Schutzbrand schlechthin. In vielen Gebäuden ist es heute noch vorhanden. Der Sieger sorgt dafür, dass der Verlierer merkt, dass er verloren hat. Der Sieger räumt dem Verlierer seine Sachen weg. Die Charité wurde zur DDR-Zeit mit ausländischer Technik, hauptsächlich durch schwedische Baufirmen gebaut und war das modernste Europas. Jetzt will man es abreißen. Mit der Medizin kann man kein Geld verdienen, es sei denn in der Pharmaindustrie. Deshalb wird zu wenig investiert. Produkte kann man exportieren, aber gesunde oder kranke Menschen nicht.

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