Written by 12:03 HABERLER

Armeniergenozid und das deutsche Reich

Am 24. April 2014 jährte sich der Völkermord an den Armeniern. 99 Jahre ist es her, dass mit der Deportation, auf Befehl des osmanischen Innenministers Mehmet Talat, diese grausame Tat begonnen wurde und dem 1,5 Millionen Menschen zum Opfer fielen.

Fast hundert Jahre nach den schrecklichen Massaker und den Verfolgungen wird der Völkermord an den Armeniern von der türkischen Regierung immer noch bestritten. Aber auch die Bundesregierung versucht weiterhin, die deutsche Mitverantwortung für den Völkermord zu relativieren. Das eigentliche Ausmaß, nicht nur des Völkermords aber auch der Beihilfe der deutschen Militärs und Politiker, ist in der deutschen Öffentlichkeit weithin unbekannt. Mit Blick auf die mörderische Waffenbrüderschaft zwischen dem Deutschen Kaiserreich und dem Osmanischen Reich im Ersten Weltkrieg hatte die deutsche Seite alles getan, um den Völkermord zu decken. 1915 hatte Reichskanzler Bethmann-Holweg gegenüber österreichischen Bedenken geantwortet: „Unser einziges Ziel ist es, die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu halten, gleichgültig ob darüber Armenier zugrunde gehen oder nicht.“ Daraus wird ersichtlich, dass Deutschland bereit war, den Völkermord zu billigen. Wichtig war allein die Waffenbrüderschaft mit dem Osmanischen Reich. Als Beispiel sei nur General Fritz Bronsart von Schellendorf, Chef des Generalstabs im Großen Hauptquartier in Istanbul und damit oberster Kriegsplaner direkt nach dem Kriegsminister Enver Pascha, genannt. Bronsart von Schellendorf befürwortete nicht nur die Deportation der Armenier aus militärischer Notwendigkeit, sondern äußerte sich auch nach dem Krieg in übelster Form über die armenische Minderheit. In einem Brief von 1921 an das Auswärtige Amt schrieb er: „Der Armenier ist nämlich, wie der Jude, außerhalb seiner engeren Heimat ein Parasit, der sich von dem Marke des Fremdvolkes mästet, unter dem er seinen Wohnsitz aufschlägt. Alljährlich wandern zahlreiche Armenier aus ihrem Stammlande nach Kurdistan, um nach kurzer Zeit ganze kurdische Dörfer zu bewuchern und sich dienstbar zu machen. Daher der Hass, der sich oft in ganz mittelalterlicher Weise durch den Mord missliebig gewordener Armenier entladen hat.“ Dazu taten 800 deutsche Offiziere und 25000 Soldaten im Osmanischen Reich Dienst, die sich auch aktiv am Völkermord an den Armeniern beteiligten.

 

Diese Mitverantwortung Deutschlands zeigt sich auch in der Beantwortung der Kleinen Anfragen des späteren KPD-Gründers und damaligen USPD-Abgeordneten Karl Liebknecht im Januar 1916 im Reichstag. Liebknecht hatte als einziger Angeordneter im Dezember 1914 gegen die Kriegskredite gestimmt und trat mit seinen Anfragen, dem einzig verbliebenem parlamentarischen Instrument, dass ihm ohne Zustimmung seiner ehemaligen SPD-Fraktion möglich war, im Reichstag auf, um die imperialistische Politik des Kaiserreichs zu beleuchten. Der Anfrage Liebknechts zu den Massakern an den Armeniern folgte denn auch seine Anfrage zu weiteren Kriegsverbrechen, zu deutschen Kriegsverbrechen an Zivilisten in den besetzten Ländern wie Belgien. Liebknecht fragte: „Ist dem Reichskanzler bekannt, dass während des jetzigen Krieges im verbündeten türkischen Reiche die armenische Bevölkerung zu hunderttausenden vertrieben und niedergemacht worden ist? Welche Schritte hat der Herr Reichskanzler bei der verbündeten türkischen Regierung unternommen, um die gebotene Sühne herbeizuführen, die Lage des Restes der armenischen Bevölkerung in der Türkei menschenwürdig zu gestalten und die Wiederholung ähnlicher Greuel zu verhindern?“ Darauf antwortete Dr. v. Stumm, Kaiserlicher Gesandter, Dirigent der politischen Abteilung im Auswärtigen Amt, Kommissar des Bundesrats: „Dem Herrn Reichskanzler ist bekannt, daß die Pforte vor einiger Zeit, durch aufrührerische Umtriebe unserer Gegner veranlaßt, die armenische Bevölkerung bestimmter Gebietsteile des türkischen Reiches ausgesiedelt und ihr neue Wohnstätten angewiesen hat. Wegen gewisser Rückwirkungen dieser Maßnahmen findet zwischen der deutschen und der türkischen Regierung ein Gedankenaustausch statt. Nähere Einzelheiten können nicht mitgeteilt werden.“ Liebknecht versuchte eine Ergänzungsfrage nachzuschieben: „Ist dem Herrn Reichskanzler bekannt, daß Professor Lepsius geradezu von einer Ausrottung der türkischen Armenier gesprochen …“ Diese wurde, ohne dass Liebknecht überhaupt zu Ende sprechen konnte, unter Beifall des Reichstags vom Präsidenten unterbunden. Nicht einmal die Frage sollte also gestellt werden können.Zu sehr war man sich einig, diese Verbrechen verschweigen zu müssen. Liebknecht erklärte im Nachhinein seine Handlungsstrategie wie folgt: „Die türkische Regierung hat ein furchtbares Gemetzel unter den Armeniern angerichtet; alle Welt weiß davon – und in aller Welt macht man Deutschland verantwortlich, weil die in Konstantinopel die deutschen Offiziere die Regierung kommandieren. Nur in Deutschland weiß man nichts, weil die Presse geknebelt ist.“

 

Sevim Dagdelen

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