Written by 13:23 HABERLER

Bruch. Umbruch. Aufbruch. Buchmesse RUHR.

 

Kaum ein anderes Thema der letzten Monate hat die Menschen in der Türkei und in Europa so bewegt wie die Proteste um den Gezi-Park, die in Istanbul ihren Start genommen haben und sich wie ein Lauffeuer in kürzester Zeit im ganzen Land verbreitet haben. Nun haben sich die Tränengaswolken verzogen, die Sprechchöre sind verklungen, die Banner eingerollt, aber die Generation Gezi gibt sich nicht geschlagen. Mittlerweile unterscheidet man auch zwischen einer türkischen Gesellschaft vor und nach dem Gezi-Park. Die Proteste haben ebenso herkömmliche Grenzziehungen zwischen den Künsten überwunden und inspirieren und verbinden jetzt schon Künstler verschiedener Genres – sie sind sogar auch selbst zur Kunst geworden.

Land und Literatur im Auf- und Umbruch

Die Literaturszene des Landes hat einen großen Einfluss darauf, wenn es um den Anstoß von Diskussionen zu sozialen und politischen Problemfeldern geht. Deshalb ist es eigentlich nur noch eine Frage der Zeit, wann die Proteste auch Teil der Literatur im Land werden. Denn die Autorinnen und Autoren lassen die gesellschaftlichen Auf- und Umbrüche schwarz auf weiß sichtbar werden und brechen dabei mit einer beeindruckenden ästhetischen Neuerung thematische sowie künstlerische Tabus. Deshalb auch: „Bruch. Umbruch. Aufbruch!“ Mit diesem Motto verweist die diesjährige Ausgabe der 9. Deutsch-Türkischen Buchmesse RUHR erwartungsgemäß auf die Protestbewegung, die sich in den letzten Monaten in der Türkei gegen die Politik der Regierung um Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan richtete. So wollen die Veranstalter der Buchmesse RUHR die Debatte um die Gezi-Bewegung mit den Autoren jener Generation, die nun eine Türkei im Um- und Aufbruch erlebt und diese in den eigenen Werken verarbeiten wird, vom 19. bis 27. Oktober im Ruhrgebiet sowie in Düsseldorf und Bielefeld fortführen.

Gezi-Park im Vordergrund

Die Eröffnungsdiskussion der Buchmesse wird daher auch unter einem politisch gesellschaftlichen Titel stattfinden: Türkei als Regionalmacht? „Wertvolle Einsamkeit“ oder gefährliche „Isolation“? Dazu wird Nuray Mert, einer der renommiertesten Journalisten und Politikwissenschaftler der Türkei, einen Einblick in die türkische Innenpolitik geben, um dann die sich zuspitzende außenpolitische Lage der Türkei zu schildern, vor allem mit Blick auf die Beziehungen zu Syrien, Iran und Irak. Die Eröffnung im Literarischen übernimmt dieses Jahr Sunay Akin. Der mittlerweile traditionell zu die Buchmesse gehörende Autor wird mit seiner Erzählung „Die Bäume von Istanbul“ übersehbare Details aus der Geschichte und dem Leben zusammentragen. Gleichzeitig wird er seine Zuhörer auf eine Reise nach Istanbul mitnehmen und die Geschichte der umkämpften Bäume erzählen, die nun zum Symbol des gesellschaftlichen Wandels geworden sind. Eines der Hauptvorträge der Buchmesse wird ohne Zweifel das Gespräch zwischen Dr. Hannes Krauss, Literaturwissenschaftler, und Ece Temelkuran sein. Die renommierte Autorin und Journalistin wird dabei auch ihren neuesten Roman „Böse Weiber, die auf Zauberknoten hauchen“ (Dügümlere üfleyen kadinlar) vorstellen. Vor allem wird sich das Gespräch aber auch über die Ereignisse im Gezi Park und über ihre Erfahrungen im arabischen Frühling konzentrieren, da Temelkuran sich auch seit längerer Zeit teilweise in den arabischen Ländern aufhält und aufgrund ihrer politischen Ansichten ihren Job als Journalistin an einer der meistgelesenen Zeitungen der Türkei aufgeben musste. Mindestens soviel an Neugier weckt auch die Veranstaltung mit Pinar Selek. Mit einer Live-Übertragung wird sie ihr Buch „Frau im Exil“ vorstellen. Denn sie blickt auf eine Geschichte von fünfzehn Jahren juristischer Willkür zurück, der sie weiterhin noch ausgesetzt ist. Ergänzt wird Seleks Erzählung zu ihrem Leben im Exil durch einen Text von Karin Karakasli, welche seit fast fünfzehn Jahren mit Pinar Selek befreundet ist und ihren Fall mit verfolgt.

 

Buchmesse in Vielfalt

Als Ehrengast der diesjährigen Buchmesse RUHR wird Erika Glassen die Eröffnung des Festivals gewidmet. Die emeritierte Islamwissenschaftlerin, Übersetzerin und Autorin leistete vor allem im Bereich der deutschsprachigen Übersetzung türkischer Literatur einen großen Beitrag: beginnend bei Klassikern wie Sabahattin Ali, bis hin zu Leyla Erbil und Autoren der jüngeren Generation, wie Murathan Mungan. Im weiteren Verlauf des Programmes werden auch Journalisten wie Mely Kıyak, Özlem Topçu, Deniz Yücel und Ebru Taşdemir über das Leben als Journalist in Deutschland berichten. Vor allem wird es in diesem Vortrag über den Rassismus in den Medien gehen: „Ob handschriftliche Briefe voller Beschimpfungen und obszöner Beleidigungen oder einfach nur guter, alter Hass in anonymen Drohmails – die Protagonisten des Abends werden in ihrem beruflichen Alltag mit Attacken dieser Art immer wieder konfrontiert.“ Neben den zahlreichen Lesungen und Vorträgen wird auch ein Abschlusskonzert mit der legendären Rockgruppe „Mogollar“ stattfinden. Das vollständige Programm ist unter www.buchmesse-ruhr.de zu sehen.

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