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Der Diktator ist zwar geflogen, aber die Diktatur ist bei weitem nicht gestürzt

Wir haben mit dem Sprecher der Kommunistischen Arbeiterpartei Tunesiens und Direktor der Zeitung „Al Badil“ (Die Alternative), Hamma Hammami, über die Entwicklungen und die Zukunft Tunesiens und die Forderungen des tunesischen Volkes gesprochen.

Yildiz Eren

Sie wurden am 12. Januar am frühen morgen von der tunesischen Polizei verhaftet und drei Tage lang von ihr festgehalten. Jetzt wurden Sie wieder freigelassen. Dazu beglückwünschen wir Sie. Wie wurden Sie in diesen Tagen behandelt und wie kam es zu Ihrer Freilassung?
Ich danke Ihnen. Ich möchte mich bei Allen, die sich in diesen drei Tagen und auch davor dutzende Male mit mir und den anderen politischen Gefangenen solidarisierten, ganz herzlich bedanken. Während des Polizeigewahrsams erfuhren wir keine physische Gewalt. Es war aber trotzdem sehr bitter, in solch einer wichtigen Phase des Kampfes festgenommen zu sein. Natürlich wurde meine Haustür gewaltsam geöffnet und ich war Gewalt ausgesetzt, aber darauf will ich nicht näher eingehen. Wir wurden wieder freigelassen, da das Volk mit der Forderung um unsere Freilassung sehr viel Druck aufbaute und ausübte. Am Freitag gab es in den Morgenstunden eine Protestaktion, die sich rasch ausbreitete und am selben Tag hat die protestierende Masse die Polizeibarrikade vor dem Innenministerium durchbrochen und sich vor dem  Innenministerium versammelt. Wir wurden zu dem Zeitpunkt im Gebäude des  Innenministeriums in „besonderen Räumlichkeiten“ für Verhaftete festgehalten. Dieser Ort hatte vorher schon einen schlechten Ruf, da in diesen Räumlichkeiten schon in der Vergangenheit jahrelang gefoltert wurde.
Die Polizei griff die Protestaktion an. Es hatten sich hier aber Zehntausende Menschen versammelt und protestierten. Die Polizeiblockade brach und die Beamten, die uns freilassen mussten, sagten „Wir haben Sie beherbergen müssen, um zu verhindern, dass Sie keiner Gewalt und keinem Angriff ausgesetzt werden. Sie sind jetzt wieder frei!“
Wir wurden zwar wieder freigelassen, aber es befinden sich weitere Freunde noch dort. Unter diesen befinden sich unter anderem auch viele Militante, zu den auch einige unserer Parteifunktionäre zählen. Vor zwei Jahren wurden während des Volksaufstandes im Bergbau   in Gafsa viele Gewerkschaftler verhaftet und einige von ihnen sitzen ebenfalls noch dort..

Fast zur gleichen Zeit wurde von den Medien berichtet, dass Ben Ali ins Ausland geflohen ist. Nach ein paar strittigen Aussage  wurde verkündet, dass der Ministerpräsident seinen bisherigen Platz einnahm. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?
Dass Ben Ali dazu gezwungen wurde, das Land zu verlassen und die im Anschluss darauf gemachten Versprechungen müssen zu dieser Zeit als ein Erfolg des tunesischen Volkes gewertet werden. Obwohl noch  keine reellen Veränderungen eingetreten sind, müssen wir dieser Entwicklung einen wichtigen und großen Wert beimessen. Ein Diktator wurde durch einen Volksaufstand dazu gezwungen, zu fliehen. Seit langen Jahren war das in der Welt nicht möglich und niemandem gelungen. Es ist natürlich auch von besonderer Bedeutung, dass dies in einem muslimischen Land geschehen ist.
Die Proteste und Aktionen gegen die Arbeitslosigkeit und Korruption und der Kampf für ökonomische und soziale Verbesserungen bekamen zunehmend einen politischen Charakter. Diese haben sich in den letzten Tagen offen gegen die Regierung gerichtet und mündeten in einer Bewegung, die den Sturz der Regierung forderte. Ben Ali machte in den letzten Tagen einige Versprechungen, die darauf abzielten, Zeit zu gewinnen und den eigenen Kragen zu retten, aber er konnte das Volk damit nicht überzeugen.
Nun, jetzt ist der Diktator zwar fort, aber die Diktatur ist noch nicht gestürzt! Diejenigen, die den Diktator unterstützten, seine Herrschaft sicherten und seine nähere Anhängerschaft bildeten, versuchen durch einige Verbesserungen alles noch im Rahmen zu halten, d.h. alles noch innerhalb des bestehenden Systems zu lösen.
Wer ist dieser Muhamed Gannuschi, der verkündete, Ben Ali’`s Platz einnehmen zu wollen?
Gannuschi ist der langjährige Ex-Ministerpräsident Ben Ali`s, also einer, der dieses System verteidigt. Auch wenn es zu dem gewollten weichen Systemwechsel kommen sollte, müsste ja die Prozedur eigentlich einen ganz anderen Verlauf haben. Es ist offensichtlich, dass sie Konflikte und Zwist untereinander durchleben und von außen Rat holen.
Dennoch wird das tunesische Volk diesem Lösungsansatz, den Konflikt im Rahmen dieses Systems zu lösen, keinen Glauben schenken und denjenigen, die das wollen, nicht auf den Leim gehen. Wir sind fest entschlossen, diesen Triumph des Volkes nicht aus der Hand zu geben. Wir haben dazu entsprechende Aufrufe gemacht. Die Lösung der Probleme und Konflikte, denen das tunesische Volk ausgesetzt ist, wird nicht seitens der USA oder einer anderen auswärtigen Macht kommen. Die großen Mächte haben bis zum Schluss Ben Ali`s Regime unterstützt, haben sich mit Ben Ali`s Regime solidarisiert. Auf ihre derzeitigen Erklärungen darf man nicht hereinfallen. Die Attitüde Frankreichs war in diesem Sinne sehr negativ und ominös und stieß innerhalb des tunesischen Volkes auf heftige Kritik. Frankreichs Außenminister hat vor zwei Tagen noch vorgeschlagen, der tunesischen Polizei in der Frage der Formation der Sicherheitskräfte Hilfe zukommen zu lassen.

Was schlagen sie derzeit vor?
Wir sind fest entschlossen, dass alle Probleme, die zu diesem Volksaufstand geführt haben, gelöst werden. Das Volk hat sich nach jahrelanger Duldung gegen die Arbeitslosigkeit, gegen die Korruption, gegen die Armut und gegen die Unfreiheit aufgelehnt. Leere Versprechungen reichen nicht! Es bedarf konkrete Schritte. Die Beschäftigten benötigen ein Einkommen, mit dem sie ein menschliches Leben führen können, das Land braucht neue Arbeitsplätze, demokratische Freiheiten müssen endlich anerkannt und gesetzlich festgehalten werden. Das wären die ersten konkreten Schritte. Das kann aber nur durch den Druck und die Kontrolle des Volkes erreicht werden. Aus diesem Grunde wollen wir, dass das Volk und die Jugend Räte und Komitees bilden. Diese sollen die Forderungen des Volkes und der Jugend ausformulieren. Das Volk und die Jugend müssen sich organisieren und den Kampf bis zum Schluss tragen.
Seit ein paar Tagen begegnet man auch einigen wütenden Gruppen, die plündern. Das wird weder dem Volk, noch der Bewegung was nützen. Im Gegenteil diese Einzeltaten werden der Bewegung schaden und die eigentlichen Forderungen überschatten. In diesem Rahmen versuchen wir, sowohl mündlich, als auch schriftlich gegen die Plünderungen zu argumentieren und die Interessen der Bewegung zu wahren.
Wir wollen in erster Linie, dass die notwendigen Maßnahmen ergriffen werden. Dazu zählt die Gründung einer provisorischen Volksregierung, die Durchführung der freien, demokratischen Wahlen und Erneuerung von wesentlichen Verfassungsparagraphen und grundlegenden Gesetze, insbesondere im Bereich der grundlegenden Rechte im Interesse des Volkes, durch das neu zu bildende konstitutionelle Parlament.
Welche Rolle spielen religiöse Organisationen innerhalb dieser Bewegung? Haben sie Einfluss in der derzeitigen Bewegung?
Auch in Tunesien organisiert sich, wie in anderen arabischen Ländern auch, eine religiöse Partei. Sie wurden Anfang der 90`er Jahre schweren Repressalien des Regimes ausgesetzt. Ihre Funktionäre wurden verhaftet oder ins Exil vertrieben.
Dennoch haben diese religiösen Kräfte im Ausland nichts mehr geleistet, als die Repressalien und den Folter anzuprangern und zur Schau zu stellen. Sie sind und waren nie einflussreich innerhalb der sozialen Bewegung. Sie waren auch keineswegs Teil des in den letzten Wochen stattfindenden Volksaufstandes. Diese Bewegung war ein spontaner und sozialer Aufruhr. Er hat einen demokratischen, laizistischen und volkstümlichen Charakter. Ein Umstand, der die Reaktion zutiefst enttäuschte!
Die religiöse Bedrohung war für die Herrschenden stets ein passender Vorwand gewesen, um sowohl im Inland, als auch im Ausland Unterstützung für das Regime zu finden. Aber die religiösen Kräfte hatten keineswegs einen solchen Standbein und besitzen einen solchen jetzt auch keinesfalls. Dennoch bedeutet das nicht, dass die islamistische Strömung in diesem Land überhaupt nicht existieren würde.

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