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Die kurdische Frage und Chaos im Staatsapparat

 

ENDER İMREK

 

Die kurdische Frage stellt die Regierung vor ein neues Dilemma. Der Aspekt der Widersprüche zwischen verschiedenen Cliquen gewinnt immer mehr an Deutlichkeit. Manche erklären diese Entwicklungen als „Chaos und Widerspruch im Staatsapparat“. Auch wenn man diese Einschätzung nicht teilen mag, muss eingeräumt werden, dass es sich dabei um bedeutsame Entwicklungen handelt. Denn sollten der für Geheimdienste zuständige Staatssekretär Fidan und seine Mitwirkenden der Vorladung der Staatsanwaltschaft Folge leisten und ihre Aussagen machen, werden anschließend auch ihre „geheimen“ Hintermänner ins Büro des Staatsanwalts zitiert. Es ist davon auszugehen, dass die AKP versuchen wird, es nicht so weit kommen zu lassen und eine andere Lösung zu finden. Allerdings wird dies nichts daran ändern, dass die Regierung in eine neue Ära eintritt und neue Situationen überwinden muss.

Mehrere Geheimdienstler der MIT hatten die PKK unterwandert und Bomben für Anschläge in Großstädten organisiert, die sogar teilweise benutzt wurden und mehrere Tote forderten. Und nun kam das in die Öffentlichkeit. Angesichts dieser Entwicklungen muss man Folgendes feststellen: Die Widersprüche zwischen verschiedenen Cliquen im Staatsapparat traten wieder einmal im Zusammenhang mit der kurdischen Frage ans Tageslicht, sie gehen jedoch über diesen Punkt weit hinaus. Dies bedeutet zugleich, dass die Abrechnungen zwischen der AKP und ihren Unterstützern noch weiter andauern werden. Sollte man diese Probleme auf irgendeine Weise lösen, ist davon auszugehen, dass weitere Widersrpüche ans Tageslicht kommen und die Cliquen stets „kampfbereit“ sein werden.
Die Kalkulation der AKP, den Staat mit illegitimen Mitteln zu beherrschen,  führte zu neuen Problemen und veranlasste ihre bisherigen „Unterstützer“, die AKP mit aller Macht daran zu hindern, noch mehr an Macht zu gewinnen. Anstatt eine Debatte über die Lösung der kurdischen Frage anzustossen, zieht die Regierungspartei vor, neue Intrigen zu spinnen. Dies wiederum führte dazu, dass ihre „Unterstützer“ neue Asse aus dem Ärmel zogen, um ihre Schwächen gegen sie einzusetzen. Die neuesten Ereignisse bedeuten nichts anderes, als das Ende der bisherigen scheinheiligen Kurdenpolitik der AKP, die im Kern darauf ausgerichtet ist, mit Hilfe der Polizei und der Geheimdienstorganisation MIT die PKK zu liquidieren.

Die AKP-Regierung muss heute die Rechnung für ihre Bemühungen bezahlen, die 2006 begonnenen Verhandlungen mit der PKK für die Festigung ihrer Herrschaft zu instrumentalisieren. Diese Rechnung ist nicht aufgegangen. Dies bedeutet allerdings aus unserer Sicht nicht, dass die Verhandlungen nicht wieder aufgenommen werden sollten. Unseres Erachtens muss der Weg des Dialogs mit Vertretern der PKK weiter gegangen werden.

Die AKP muss endlich ihren Widerstand und ihre auf Illegitimität beruhende Politik aufgeben. Sie muss die Rahmenbedingungen für Lösungen der kurdischen Frage für demokratische Rechte und Freiheiten schaffen. Ihre anhaltenden Versuche, gesetzliche und verfassungsrechtliche Rechte für Kurden zu verhindern, muss sie endlich einstellen und mit offenen Karten spielen. Sonst wird sie dem Pragmatismus und der Doppelzüngigkeit zum Opfer fallen.

Die Istanbuler Staatsanwaltschaft lud den Staatssekretär Hakan Fidan und andere hohe Beamte zum Verhör ein. Das bedeutet auch, dass damit auch eine Ermittlung gegen die AKP und ihre Politik eingeleitet worden ist. In diesen verschiedenen Kreisen herrscht zwar Einigkeit darüber, dass die heute herrschenden Kräfte weiter an der Macht bleiben. Sie streiten lediglich darüber, wer dabei die wichtigeren Posten besetzt. Diese doppelzüngige Haltung ist geeignet, neue Probleme hervorzurufen. Wer heute Hakan Fidan und den MIT unterstützt und dabei glaubt, auf diese Weise den Weg des Dialogs in der kurdischen Frage befürworten zu können, begibt sich auf den Holzweg.

Denn erstens ist die kurdische Frage ein politisches Problem, das seit 30 Jahren die Gesamtgesellschaft betrifft. Die kurdische Frage ist ein Problem des Staates und der Regierung. Sie ist ein Problem des türkischen und des kurdischen Volkes. Beide müssen seit Jahrzehnten die Rechnung für diesen Krieg bezahlen. Es ist kein Problem, dessen Lösung an den MIT delegiert werden kann. Man kann es aber auch nicht lösen, indem man die Widersprüche zwischen dem MIT und dem Polizeiapparat ausnutzt. Die AKP muss endlich die kurdischen Abgeordneten als Ansprechpartner akzeptieren und das Gespräch mit ihnen suchen, anstatt aussichtslose Intrigen und Wege zu gehen.

Auch der Geheimdienst MIT ist nicht geeignet, diesen Dialog zu führen. Im Gegenteil: Dieser Geheimdient, der aus Steuermitteln finanziert wird und berüchtigt für seine dunklen Machenschaften ist, gehört aufgelöst. In der Geschichte der Türkei tat er sich mit Attentaten auf Gewerkschafter, Arbeiterführer und Intellektuelle sowie mit Plänen gegen deren Kampf um Demokratie hervor. Und ebenfalls muss die Polizeigewalt, die dem Schutz des Volkes dienen sollte,  den Kommunalverwaltungen unterstellt werden, die ihre Legitimation vom Volk bekommen.

Ja, der Dialog ist die einzige Lösung der kurdischen Frage. Darunter verstehen wir aber auschließlich den Dialog auf parlamentarischer Ebene und nicht geheime Absprachen und Intrigen. Die gewählten Volksvertreter müssen das Gespräch aufnehmen, um eine friedliche Lösung des Problems zu finden. Darüber hinaus muss ein Dialogkreis gebildet werden, dem Vertreter von demokratischen Organisationen, Gewerkschaften und aller anderen Beteiligten angehören. Sonst werden weder der Staat, noch gewählte Regierungen dieses Problem zu seiner Lösung führen können.

 

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