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Die neue Saison der unendlichen Geschichten

Cigdem Ronaesin

Sicherlich werden nach der Sommerpause wieder viele Tränen fließen. Denn die Saison der Serien im türkischen Fernsehen hat wieder angefangen. Auch dieses Mal hat man sich viele „kreative“ Geschichten und Dramen einfallen lassen, um das Publikum bis in die Nacht vor dem Fernseher gefangen zu halten. Wohlgemerkt bis zu zwei Stunden kann eine Serie tatsächlich dauern, mit teilweise 15-Minuten-Werbeblöcken, wohl angemerkt.
Aus alt mach neu
Ein Blick auf die Vorschau reicht schon aus, um zu durchschauen, dass die Serienmacher auf verschiedene Methoden setzen. Aus alten Geschichten, die seit Jahren bei dem Publikum gut ankommen, werden „neue“ Serien gedreht. Der Klassiker „Al Yazmalim“, ein Liebesfilm oder die Geschichte um „Leyla ile Mecnun“ (türkische Version von „Romeo und Julia“) sollen beispielsweise in der kommenden Saison als Serie ausgestrahlt werden und diese werden schon von vielen meist Jugendlichen und Hausfrauen langersehnt erwartet, wie man es in vielen Foren lesen kann. Diese in den letzten Jahren mehrmals angewandte Taktik enttäuscht ihr Publikum aber sehr bald, weil nie die Originalfassung eingehalten wird. Wie bei „Anneler ve Kizlari“ und „Umutsuz ev kadinlari“ wird in vielen Serien auf den Schwachpunkt des Publikums gesetzt. Die Frauen, die diese Serien gucken, können sich sehr gut in die Lage der Schauspieler versetzen und haben Mitleid mit ihnen. Es sind auch wieder in dieser Saison viele Serien, die die Wichtigkeit der Polizei in den Vordergrund rücken wie „Kursun Bilal“ oder „Bir Ankara Polisiyesi“. Kurz gesagt, fehlt es nicht an Themen.
Serien führen zu Identitätsverlust
Für jeden, der eine Serie gucken möchte, ist eigentlich etwas mit dabei. Das Erstaunliche ist jedoch, dass die Familien so sehr an die Serien gebunden werden, dass sie ihren Tagesablauf danach planen. Es gibt viele Menschen, die um die Uhrzeit nach Hause kommen, nur um ihre Serie nicht zu verpassen. Oder in verschiedenen Foren sich über die Serien austauschen. Viele Experten, Wissenschaftler und Professoren warnen vor einer Identifikation der eigenen Person mit der Person der Schauspieler, was teilweise zu Realitätsverlust führen könne. Man flüchtet in eine fiktive Welt und vergisst die eigenen Probleme. Es gibt immer noch eine bessere Welt, als die meine, ist der Gedanke, der auftaucht, so viele Experten. Vor Familiendramen wird besonders abgeraten. Vor allem diese mit der ganzen Familie zu gucken, da Kinder sehr stark beeinflusst werden können. Kinder bilden sich ein, sie könnten auch adoptiert worden sein oder nehmen sich die Jugendlichen aus den Serien als Vorbild, auch wenn diese nicht starke Charaktere darstellen. Viele Serien führen auch dazu, dass die nationalen oder religiösen Gefühle gestärkt werden, was leider zu falschen Konsequenzen führt. Nach der Serie „Kurtlar Vadisi“, bei der bewusst auf die nationalen Gefühle appelliert wurde, haben sich viele türkeistämmige Migranten, die die deutsche Staatsangehörigkeit hatten, wieder ausbürgern lassen, weil sie ihr Vaterland nicht verraten wollten. Es ist auch nicht zu selten vorgekommen, dass die Schauspieler auf der Straße geschlagen wurden, weil sie eine schlechte Person in der Serie verkörpern.
Keine Alternative
Die türkische Medienlandschaft spielt mit den Serien zu sehr mit den Gefühlen des Publikums. Die Menschen werden absolut manipuliert und für dumm verkauft. Bei einer genauen Betrachtung der türkischen Sender wird man feststellen, dass zu Tageszeiten 4-5 Serien ausgestrahlt werden. Hausfrauen, die den ganzen Tag zu Hause sind und den Fernseher laufen lassen, haben keine andere Alternative, als diese Serien zu gucken. Es kann absolut kein Vorwurf an das Publikum gemacht werden, wenn die Sender nichts Anderes ausstrahlen, als Serien, Reality-Shows und Kochsendungen. Die Hausfrau wird somit bewusst nicht gefördert und soll sich möglichst auch keine andere Meinung bilden, als die, die in den Serien gegeben wird.
Serien als Trendsetter
Für junge Frauen wird eine Traumwelt geschaffen. Arbeite hart, verliebe dich in einen reichen Mann und mach dich hübsch, dann wird dein Leben genau so sein, so nach dem Motto. Die Mode geht auch nach der Mode der Schauspielerinnen. Nach der Serie „Sila“ kam die berühmte goldene Sila-Klammer raus, die sogar nach Deutschland kam. Nach „Asi“ wurden lange Röcke nach Country-Style in. Es ist also fast gar nicht möglich, dem Serien-Hype zu entkommen. Es werden auch für junge Frauen merkwürdige Wertevorstellungen vermittelt. Wenn man an die Serie „Ask-i Memnu“ denkt… Die hübsche, attraktive und junge Schauspielerin betrügt ihren reichen Mann mit seinem Neffen. Oder in der Serie „Yaprak Dökümü“ sind die Schwestern mit dem selben Mann in einer Beziehung. Komische Welt, die zu der realen Welt vieler junger Frauen wird.
Gute Beispiele
Es ist aber in letzter Zeit auch nicht selten vorgekommen, dass die Serien genutzt wurden, um die Menschen über die Geschichte zu informieren. Auch wenn diese es schwerer in der Medienlandschaft haben und leicht mal von der zentralen Medienüberwachung RTÜK zensiert werden, gab es doch erfolgreiche Beispiele. Eins war zu Beispiel „Hatirla Sevgili“, die die politische Landschaft der 60er bis 80er Jahre in der Türkei thematisierte. Viele junge Menschen, die nichts über diese Zeit wussten, haben somit Deniz Gezmis und die Zeit kennen gelernt, ihr politisches Interesse wurde geweckt. Auch „Cemberimde Gül Oya“ war so ein Beispiel. Aber leider kann man solche Serien an einer Hand abzählen, weil der Staat solche Serien nicht so gerne sieht. Die Fortsetzung von „Hatirla Sevgili“, die nach dem türkischen Lied „Bu kalp seni unuturmu“ genannt wurde, versprach in den ersten Folgen sehr viel. Doch nach einigen Drohungen, die Serie müsste sonst abgeschafft werden, wurde aus der politischen Serie eine reine Liebesserie und wurde bald zum Flopp.
Diskussionsreiche Foren
„Sie übertreiben mit der Geschichte, aber ich kann nicht aufhören, diese Serien zu
schauen, weil ich abends sonst nicht wüsste, was ich machen soll und zweitens bin ich viel zu neugierig, wenn ich die nicht gucke.“ beschwert sich ein Forummitglied. „Ich gucke diese Serie, weil es genau mein Leben darstellt“, sagt eine über die Serie „Öyle bir gecer zamanki“. „Es gibt immer irgendwelche Schnittpunkte mit unserem Leben, weil es ja so viele Charaktere gibt.“ antwortet ihr eine weitere Diskutantin. An diesen Diskussionen sieht man, dass das Publikum nicht nur die Serien guckt, sondern sich damit auch in verschiedenen Foren auseinandersetzt. Über kein anderes Thema wird wahrscheinlich von türkeistämmigen Hausfrauen so diskutiert, wie über die Serien.
Alternativen fehlen
Trotz dieser ganzen Manipulation, die die Medien durchführen, werden diese Serien tagtäglich von vielen Menschen geguckt. Es ist auch schwer, vollkommen davon loszukommen, weil keine Alternative angeboten wird. Man sollte sich jedoch immer vor Augen führen, wozu die Serien führen können und auch tatsächlich in vielen Fällen führen. Solange keine Alternativen geschaffen werden, muss jeder für sich filtern, was für den anschaubar ist. Die neue Saison fängt an, mal schauen, wie viele Tränen fließen, wie viele Menschen und wie viele Beziehungen zu Brüche gehen. Es ist nur wichtig, dass diese Veränderungen im fiktiven Leben bleiben.

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