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Die Stimme meines Vaters (Babamin sesi) 2012

Am Anfang scheint es, als würde nichts passieren. Denn eine gefühlte Ewigkeit wird nicht gesprochen. Nur die Einsamkeit sticht heraus, als ein Mann neben einem einzelnen Baum als dunkle Gestalt zu sehen ist. Dann ein Bus, eine Brücke, eine alte Frau in Schwarz und ein verfallenes Haus. Auch die Stimme des Vaters wogt in einer Einsamkeit durch das leere Zimmer, vom Tonband, aus der Vergangenheit und ohne Gesprächspartner.

 

Auch nach Jahren lässt die Einsamkeit Base nicht alleine. Denn seit Ewigkeiten wartet sie voll schmerzlicher Sehnsucht auf die Heimkehr ihres Sohnes Hasan. Wie einst der vor Langem verstorbene Vater ist auch er weit weg von der Heimat, in den Süden gegangen, ohne zu sagen, wohin. So hofft Base jeden Tag mit jedem Geräusch von draußen von Neuem, dass ihr Sohn zurückkehrt. Jahre sind vergangen und der jüngste Sohn Mehmet bereitet sich auf seinen Auszug aus dem Elternhaus vor. Und genau dann fällt ihm eines der vielen Tonbänder, das er und seine Mutter einst für Vater besprochen hatten, in die Hände. Sie waren damals die einzige Möglichkeit zur Kommunikation. Denn ein Telefon gab es nicht, seine Mutter war Analphabetin und er zu klein, um Lesen und Schreiben zu lernen. Doch bei all dem wird ihm schmerzlich bewusst, dass er seinen eigenen Vater gar nicht gekannt hat. Die einzige Möglichkeit, mehr über ihn herauszufinden, sind für Mehmet zunächst die Tonbänder. Base jedoch streitet die Existenz dieser konsequent ab. Aber je entschlossener Mehmet nach den Bändern sucht, desto mehr erfährt er von seiner sich nur zögernd öffnenden Mutter über die Vergangenheit seiner Familie. So schafft er es nach und nach, die Teile zusammenzubringen und das „Puzzle“ zu vervollständigen: warum die Nachbarskinder Base immer üble Streiche spielen, warum die Mutter unbekannte Anrufe bekommt, bei denen keiner spricht, warum immer bedrohliche und merkwürdige Gestalten im Vorhof stehen und nach dem älteren Sohn Hasan fragen – all das beginnt Mehmet zu verstehen und begreift mit der Zeit, weshalb Base alles verdrängt, was an seinen Vater erinnert.

Das Politikum des Filmes von Orhan Eksiköy und Zeynel Dogan wird recht am Anfang angestoßen, in dem eine einsame Stimme vom Kurdischen ins Türkische wechselt: „Ich will nicht Kurdisch sprechen. Bring den Kindern Türkisch bei.“ Sehr lange Zeit war das Kurdisch sprechen in der Türkei höchst verboten – kein Radio, keine Filme, keine Lieder und auch kein Kurdisch in der Schule. Heutzutage ist dieses Verbot teilweise aufgehoben, die Lage in Südostanatolien ist jedoch weiterhin sehr angespannt: kurdische Politiker und Parteien kämpfen seit Jahren schon um ihre Freiheit, werden deswegen des Terrorismus bezichtigt, und türkische Gerichte verurteilen auf Grundlage eines sehr umstrittenes Anti-Terror-Gesetzes minderjährige Steinwerfer zu unangemessen hohen Haftstrafen, weil sie das Recht auf ihre Muttersprache fordern.

Kaum ein Film wird heutzutage noch so neutral in Szene gesetzt, wie „Die Stimme meines Vaters“. Denn Regisseur Eksiköy nutzt sehr oft nur stehende Kamera und setzt in keiner einzigen Stelle eine musikalische Unterstützung ein. Es zählt ganz und gar nur die Wahrnehmung und Interpretierung des Zuschauers. Eine weitere Stärke des Films ist, dass die Darsteller im Grunde nur die eigene Familiengeschichte nachspielen. Denn nicht nur im Film, sondern auch in Wahrheit sind Base und Mehmet Dogan Mutter und Sohn. „Die Stimme meines Vaters“ ist ohne Frage ein recht besonderer Film, denn die starke persönliche Verbindung der Darsteller sowie die Inszenierung sorgen für ein außergewöhnliches Kinoerlebnis.

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