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Integrationsverweigerer am Werk

In weiten Teilen hat dem Jahr 2010 die Integrationsdebatte ihren Stempel aufgedrückt. Wenn man die Definition laut Duden (Wiederherstellung eines Ganzen; Wiederherstellung einer Einheit [aus Differenziertem]; Vervollständigung) zugrunde legt, muss man sagen, dass die Debatte eher dem genauen Gegenteil diente: nämlich dem Teilen und Auseinanderdividieren. Berücksichtigt man die Geschichte der Integrations- und Migrationspolitik, wird allerdings deutlich, dass dies auch das eigentliche Ziel der zurückliegenden Integrationsdebatte war und auch 2011 bleiben wird. Die stets verfolgte und bewährte „Teile-und-Herrsche-Politik“, mit der Migranten zu Sündenböcken gemacht und Vorurteile gegen sie verstärkt werden, wurde angesichts der bevorstehenden schweren Einschnitte im sozialen Bereich im zurückliegenden Jahr weiter vertieft.

Und deshalb bedurfte es keiner hellseherischen Fähigkeiten, nach der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages Ende letzten Jahres eine auf Diskriminierung, Ausgrenzung und Teilung ausgerichtete Integrationspolitik im Jahre 2010 vorauszusagen. Schon damals machten die schwarz-gelben Koalitionäre deutlich, dass sie in der Integrations- und Migrationspolitik dort ansetzen werden, wo ihre Vorgängerin aufhörte. Darin hatten sie angekündigt, die Verschärfungen in der Integrationspolitik der letzten Jahre nicht antasten zu wollen. Vielmehr soll laut Vertrag mit Hilfe von Integrationsverträgen -sprich Sanktionen- die Integration hier lebender „Integrationsverweigerer“ erzwungen und der Weg für die Zuwanderung von qualifizierten Fachkräften geebnet werden.

Neue Diskriminierungssaison gleich zu Jahresbeginn eröffnet

In dieselbe Kerbe schlug auch der Vorsitzende des Innenausschusses des Bundestages, Wolfgang Bosbach (CDU), als er im Februar 2010 mit seiner Forderung nach Sanktionen für Integrationsverweigerer die neue Saison der ausgrenzenden Integrationsdebatte eröffnete. Obwohl bis heute keine Zahlen zu den Verweigerern bzw. Abbrechern von Integrationskursen vorliegen, wurde immer wieder die Mär von bis zu 40 % Integrationsverweigerern in die Welt gesetzt. Diese Zahl geisterte das ganze Jahr über in der Debatte und wurde schließlich zum Anlaß für ein Gesetzespaket gemacht, das weitere Verschärfungen im Zuwanderungsrecht zur Folge haben wird.

Eine Hauptrolle spielte in der unsäglichen Integrationsdebatte Ex-Bundesbanksvorstand und Berliner Finanzsenator (SPD), Thilo Sarrazin. Bereits Anfang Juni erklärte er, es gebe „eine unterschiedliche Vermehrung von Bevölkerungsgruppen mit unterschiedlicher Intelligenz“ und Deutschland werde durch Zuwanderer aus der Türkei, dem Nahen und Mittleren Osten und Afrika „auf natürlichem Wege dümmer“. Drei Monate später trat er mit seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ eine neue Debatte los, in der er von Medien und Politik unter dem Vorwand der  Meinungsfreiheit zum heldenhaften Tabubrecher hochgejubelt wurde. All diese Debatten erreichten ihren Höhepunkt beim 4. Integrationsgipfel im Bundeskanzleramt.

Auch wenn sie vordergründig unterschiedliche Aspekte der Integrationspolitik ansprachen, hatten sie alle mehrere gemeinsame Nenner: zum Einen wurden erzielte Integrationsfortschritte jedes Mal aufs Neue für nichtig erklärt, Migranten verantwortlich für ihre eigene Situation gemacht. Die damit bedienten Vorurteile wurden weiter verstärkt und gegenseitiges Mißtrauen verfestigt.

Dass vor diesem Hintergrund mehr als 30 Prozent der Bevölkerung den Aussagen zustimmten, „Ausländer kommen, um den Sozialstaat auszunutzen“, „bei knappen Arbeitsplätzen sollte man die Ausländer wieder in ihre Heimat zurückschicken“, und doppelt so viele sagen, „Für Muslime in Deutschland sollte die Religionsausübung erheblich eingeschränkt werden“, darf niemanden überraschen.

Die stigmatisierende und ausgrenzende Debatte blieb auch für Migranten nicht folgenlos. Das Gefühl, „nicht willkommen zu sein“ und die Ausgrenzung förderten nicht gerade die Tendenz, in höherem Maße am gesellschaftlichen und politischen Leben teilzunehmen. Unterstützt von den fehlenden rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen, die diese Teilhabe erschweren, dürfte die Debatte zum Anhalten oder gar Zurückdrängen dieser Tendenz gesorgt haben, was ebenfalls niemanden überraschen sollte. Um es noch einmal deutlich zu unterstreichen: Die Debatte hatte nicht das Ziel, das Zusammenleben zu fördern, sondern zu torpedieren, um in anderen Politikbereichen das Vorhaben ohne großen Widerstand durchzusetzen. In dieser Hinsicht war sie für die Teilenden und Herrschenden ein voller Erfolg.

Ausblick auf 2011

Es liegt auf der Hand, dass bei der Debatte die Migranten als Vorwand genommen wurden und die in wirtschaftlicher Hinsicht weniger Nützlichen und Nutzlosen zum Ziel von Anfeindungen werden – egal ob sie den viel zitierten Migrationshintergrund haben oder nicht. Sarrazin wirft nicht nur den Kindern aus muslimischen Familien die Verdummung der Gesellschaft vor. Auch die deutschen Kinder aus „bildungsfernen – und Unterschichten“ sind nach seiner Meinung eine Gefahr für das Volk der Dichter und Denker. Genauso werden nicht nur nichtdeutsche Bezieher von staatlichen Leistungen als Schmarotzer bezeichnet, sondern auch die deutschen Arbeitslosen und Geringverdiener. Die vom Bielefelder Wissenschaftler Wilhelm Heitmeyer erarbeitete 9. Folge der Langzeitstudie „Deutsche Zustände“ weist der Mittelschicht nicht nur eine wachsende Islamfeindlichkeit nach. Die Hälfte der Besserverdienenden glaubt demnach, dass die Langzeitarbeitslosen an ihrer Lage selbst schuld und für die Gesellschaft nutzlos seien.

Die Debatte wird also auch im nächsten Jahr weitergehen und nicht nur Menschen mit Migrationshintergrund, sondern auch Deutsche in den Fokus nehmen. In der ersten Sitzungswoche des Bundestages stehen zur so genannten Kernzeit zwei Tagesordnungspunkte, die das deutlich machen. Die Abgeordneten werden erstens über einen Antrag der Bündnisgrünen debattieren, der die Fachkräfte-Einwanderung durch ein Punktesystem vorsieht. Zweitens werden die Koalitionspartner einen Gesetzesentwurf vorlegen, mit dem angeblich die Zwangsheirat bekämpft werden soll. Deshalb wollen sie die Ehebestandszeit auf drei Jahre erhöhen. Darüber hinaus stehen in sieben Bundesländern Landtagswahlen an, die genügend Anlass für die Fortsetzung des diskriminierenden Diskurses bieten werden.

Das wiederum bedeutet, dass nicht nur die Versuche zunehmen werden, die Gesellschaft in Migranten und Deutsche zu spalten, um somit Entscheidungen wie das Sparpaket oder die Gesundheitsreform leichter durchzusetzen. Es bedeutet auch, dass der gemeinsame Kampf von Migranten und Deutschen, von Christen und Muslimen notwendiger denn je sein wird.

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