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Nach Europa wurden Sonderteams gesendet!

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Interview mit Zübeyir Aydar über das Attentat an drei Kurdinnen in Paris Anfang Januar 2013. Aydar gehört dem Exekutivrat der KCK (Union der Gemeinschaften Kurdistans) und war bei den sog. „Oslo-Gesprächen“ zwischen dem türkischen Geheimdienst MIT und Vertretern der PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) im Jahre 2009-2010 mit dabei. Das Interview wurde von Yücel Özdemir durchgeführt.

 

Herr Aydar, nun sind seit der Hinrichtung der drei Kurdinnen einige Wochen vergangen. Bisher wurde viel geschrieben und gesagt. Nun wurde eine Person Namens Ömer Güney als Tatverdächtiger festgenommen. Welche Beziehungen existieren zwischen dem Tatverdächtigen und den Opfern?

Weder aus unserer noch aus der Sicht der französischen Polizei sind die Umstände des Attentates vollständig geklärt. Nach den Recherchen und Erklärungen der Staatsanwaltschaft ist lediglich nur klar, dass Ömer Güney sich während des Anschlages „in der Nähe des Tatortes“ aufhielt. Das ist der momentane Stand der Untersuchungen.

 

Wer ist dieser Ömer Güney? Was weiß man über ihn?

Als erstes möchte ich erklären, dass Ömer Güney weder Mitglied noch Sympathisant der PKK ist. Wie er sich selbst bezeichnet, entzieht sich meiner Kenntnis. Nach unserer Information wollte er im Jahr 2011 Mitglied in unserem Verein in Paris werden. Damals wurde er an ein Lokalverein in seinem Stadtteil verwiesen. So wurde er dort als Mitglied aufgenommen und er beteiligte sich an den Vereinsaktivitäten. Er ist in Frankreich aufgewachsen und ist somit der französischen Sprache mächtig. Er soll u.a. bei Behördengängen und ähnlichem als Übersetzer tätig gewesen sein. Persönlich kenne ich ihn nicht.

 

Kannte Sakine Cansiz, Gründungsmitglied der PKK, ihn persönlich? Wieso befand er sich am Tag der Morde „in der Nähe“?

Sakine hatte ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Frankreich. Wegen der Verlängerung des Aufenthaltsstatus als „Flüchtling“ und zur Erledigung verschiedener Behördenangelegenheiten benötigte sie Übersetzungshilfe. Ömer Güney wurde als Übersetzer eingesetzt. Weitergehende Beziehungen existieren nicht. So sieht es übrigens auch die Staatsanwaltschaft.

 

Ömer Güney soll laut Medienberichten Geld von Sakines Konto abgehoben haben, stimmt das?

Nein, das stimmt nicht. Wie jeder Flüchtling, hatte auch Sakine ein Girokonto in Frankreich, auf dem die staatliche Unterstützung  überwiesen wurde. Der Sozialhilfebetrag wurde von Sakine, nicht von Ömer Güney abgehoben. Es stimmt ebenfalls nicht, wie behauptet wird, dass er der Privatchauffeur und ihr Personenschützer gewesen sein soll. Niemand von unseren Freunden hat Privatfahrer oder Personenschützer. Ömer Güney hat sein privates Auto bei Erledigung verschiedener Aktivitäten eingesetzt. Solche Praktiken sind in unseren Vereinen nicht ungewöhnlich. Dennoch muss der Verdacht der Staatsanwaltschaft sehr ernst genommen werden. Unmittelbar nach dem Attentat sind viele unserer Vereinsmitglieder, die sich zur Tatzeit in der Nähe aufhielten, zur Polizei gegangen und haben ihre Aussagen gemacht. Auch Ömer Güney wurde empfohlen, eine Aussage zu machen, da bekannt war, dass Sakine Ömer Güney als Übersetzer mitgenommen hatte.

Die Polizei entdeckte in den Aussagen von Ömer Güney Widersprüche. Anhand von Videoaufnahmen konnte festgestellt werden, dass er die Büroräume zwei Mal aufgesucht hat. Er selbst hatte gesagt, dass er nur einmal dort gewesen sei. Ömer Güney ist sowohl für uns, als auch für die Polizei der Tatverdächtige. Trotzdem haben wir noch keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass er der Attentäter ist. Deshalb muss in diese Richtung weiter geforscht werden.

Falls er mit dem Anschlag was zu tun haben sollte, so ist er planmäßig in die Organisation eingeschleust worden. Wenn wir zurückblicken, können wir diese geplante Einschleusung besser rekapitulieren.

Denn etwa in der Zeit, in dem Ömer Güney Mitglied in einem unserer Vereine wurde, erhielten wir eine wichtige Information aus zuverlässigen Quellen. Die Information lautete: „Die Türkei hat ein Profiteam nach Europa versandt, um Führungskader der Organisation unschädlich zu machen.“ Diese Mitteilung bekam ich im November 2011 persönlich. Damals habe ich meine Freunde, aber auch die belgische Polizei darüber informiert.

 

Wollen Sie damit sagen, dass gegen Sie und ihre Freunde Anschläge geplant sind?

Ja gewiss. Auch in früheren Zeiten bekamen wir solche Informationen. Die Polizei wurde immer informiert. Vor allem die Information vom November 2011 war für uns sehr konkret. Damals waren die Oslo-Gespräche abgebrochen, die Kampfhandlungen in den kurdischen Gebieten ausgeweitet und der türkische Staat erklärte die Absicht, uns auf allen Ebenen bekämpfen zu wollen. Von solchen Bestrebungen, die Führung der Organisation ins Visier zu nehmen, wussten wir schon seit 2007. Ständig wurden Namen veröffentlicht und sogenannte „Rote Bulletin“ herausgegeben.

 

Die Zeitung Hürriyet schrieb, dass Ömer Güney in den Monaten August und Oktober 3 Mal in die Türkei geflogen sei. Nach Auskunft des Staatsanwalts ist Ömer Güney nicht erwerbstätig. Wie kann ein Mensch ohne Einkommen innerhalb von kurzer Zeit solche Reisen unternehmen? Auch im Rahmen des Vereins versuchte er sich durch Großzügigkeit Anerkennung zu verschaffen. Das alles zusammen ist sehr verdächtig.

Alle im Verein wussten, dass Ömer Güney ein Türke war und kein Kurde. Ethnische Zugehörigkeit ist für uns nicht wichtig. Ein Nichtkurde, der sich mit den Belangen des kurdischen Volkes befasst, geniesst bei uns ein hohes Ansehen. Wir sind gleichzeitig Internationalisten und treten für die Völkerverständigung ein. Deshalb wurden die Nichtkurden in den Vereinen nicht verdächtigt, sondern höher geschätzt. So war es mit Ömer Güney genauso.

 

DAS ATTENTAT HAT DIE DIALOGGESPRÄCHE MIT İMRALI ZUM ZIEL

 

Stand Sakine Cansiz im Visier der Attentäter?

Ja, davon gehen wir aus. Nicht nur Sakine als Person, sondern die gesamte Führung und die neulich begonnenen Gespräche mit Imrali (Bem. d. Übersetzer: Gefängnis, wo der PKK-Führer Öcalan inhaftiert ist) sind eindeutig das Ziel dieser Hinrichtung gewesen. Betrachten wir das Ganze aus Distanz: Falls Ömer Güney etwas mit dem Attentat zu tun hat, so ist er sicherlich nicht allein gewesen. So eine professionell durchgeführte Hinrichtung erfordert lange Planungs- und Vorbereitungszeit. Wenn man dann noch die im November 2011 eingegangene Information hinzuzieht, wird einiges deutlich.

 

Welche Art von Verbindungen könnte Ömer Güney haben?

Wir gehen davon aus, dass hinter dem Attentat der. „tiefe türkische Staat“ (Bem. d. Übersetzers: So werden geheime Staatsorgane genannt, die außerhalb des gesetzlichen Rahmens aktiv sind und die Fäden ziehen, Staat im Staate) steht. Es ist ein Werk der „Grünen Gladio“ (Bem. d. Übersetzers: Angeblich aufgelöste paramilitärische Organisation), der nach teilweiser Zerschlagung der geheimen Ergenekon reorganisiert wurde.

 

Die türkische Regierung, aber auch die Mehrheit der Medien gehen von einer „inneren Abrechnung der PKK“ aus.

Die Äußerungen des Ministerpräsidenten, des Aussen- und des Innenministers sowie der Anadolu Press-Agentur machen deutlich, dass sie Hintergrundinformation besitzen, die sie aber zu verschleiern versuchen. Diejenigen, die unmittelbar nach dem Attentat dies als „innere Abrechnung“ deklarierten, sind die eigentlichen Verantwortlichen. Wie kann man solche Erklärungen ohne irgendwelche Indizien und Erkenntnisse denn sonst deuten? Für uns steht die Hinrichtung in Verbindung mit dem türkischen Staat. Wer außer der Türkei bombardiert zeitgleich Kandil (Bem. d. Übersetzers: Stützpunkt der PKK im Nordirak) und führt militärische Aktionen im Türkisch-Kurdistan durch? Eine andere Möglichkeit könnte sein, dass gewisse internationale Kräfte im Spiel sind. Der Iran wird auch ins Spiel gebracht. Ich persönlich glaube nicht, dass der Iran so eine Aktion durchführen würde.

Solche Erklärungen, ohne beweisbare Indizien, sollen zum einen für Verunsicherungen sorgen, zum anderen von wirklichen Verantwortlichen ablenken. Innerhalb unserer Organisation existieren keine –wie oft behauptet wird- selbständigen oder lokal verbundenen Gruppen. Jeder in der Organisation ist an die Führung gebunden. An erster Stelle steht der Vorsitzende Abdullah Öcalan. Zudem gibt es niemanden in der Organisation, der gegen die Genossin Sakine seine Waffe richten würde. Das ist das Werk einer uns feindlich gesonnenen Organisation, die mit der Türkei in Verbindung steht.

 

Bisher gab es weder in Europa  noch in der Türkei vergleichsweise Hinrichtung wie diese.

 Ja, sie haben recht. Wir wissen jedoch, dass im Jahr 1994 ein ähnliches „Sonderteam“ nach Europa geschickt wurde. Das haben türkische Staatsorgane selbst bestätigt. Als wir nach Europa kamen, haben sie versucht, uns ausfindig zu machen. Tevfik Agansoy erzählte das detailliert in seinen Geständnissen. Als der deutsche Geheimdienst davon erfuhr, wurden sie ermahnt. Daraufhin wurden sie zurückgezogen. Agansoy hatte diesbezüglich gesagt; „Wir waren so weit mit unseren Vorbereitungen fertig aber wurden zurückbeordert.“

Solche Vorhaben existierten schon auch in der Vergangenheit. Besonders in den Zeiten, in der die Kampfhandlungen an Intensität zugenommen haben. In 2012 ist der Krieg zwischen der PKK und der türkischen Militär heftig geführt worden. In so einer Situation, ist es nicht abwegig, zu denken, dass die Türkei an einer Lösung interessiert ist, wie das in Sri Lanka der Fall war.

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