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Newroz 2012 und das Roadmap der Regierung

Ender İrmek

Die diesjährigen Newroz-Feiern haben gezeigt, wo das kurdische Volk die Lösung des Problems sieht: Demokratische Rechte und Anerkennung ihrer Sprache und Kultur. Dies wird jedoch von denjenigen, die von einer „neuen Strategie in der kurdischen Frage“ reden, übersehen. Diese beharren auf einer Pseudo-Lösung, die die Haltung der Kurden für nichtig hält. Sehen wir uns die angeblich „neue Strategie Ankaras bei der Lösung der kurdischen Frage“, die seit Tagen in den Medien geistert, näher an, so wird deutlich, dass die Regierung ihrer bekannten Linie, die auf Gewalt, Vernichtung und Kapitulation der Kurden ausgerichtet ist, treu bleibt. Betrachten wir jetzt mal die 10 Themen näher, die in dem angeblich neuen Strategiepapier der Regierung enthalten sind:

1- Bei der Lösung der kurdischen Frage werden ausschließlich zivile politische Akteure gesucht, alle anderen werden nicht berücksichtigt.
Wer ist hier gemeint mit „zivilen politischen Akteuren“? Die BDP, Bürgermeister, Intellektuelle, Künstler, Juristen oder andere Vertreter des Volkes, die großes Ansehen genießen? Wer vertritt die zivile Politik? Dass ihr die BDP nicht als die „zivile“ Vertreterin der Kurden anseht, ist ja hinlänglich bekannt, denn sechs ihrer Abgeordneten sind weiter in Haft. Von den anderen Parlamentariern, die nicht inhaftiert sind, haltet ihr nicht viel. Ihr grenzt sie aus, beleidigt sie oder schlagt sie zusammen, wie kürzlich Ahmet Türk auf einer Protestaktion. Die Führer der BDP wurden im Rahmen der so genannten KCK-Operationen verhaftet. Viele Kommunalpolitiker, Bürgermeister, Intellektuelle, Juristen, Autoren sind ebenfalls in Haft. Die Volksvertreter, die bei der Lösung des Problems eine wichtige Rolle übernehmen könnten, sind mit euren Repressionen konfrontiert. Wer soll in dieser Situation die Rolle der zivilen politischen Akteure übernehmen?
Oder werdet ihr weiter versuchen, eure eigenen zivilen Akteure aus dem Hut zu zaubern? Wollt ihr eine eigene Pseudo-Kurdenpartei gründen, wie ihr das bei den Gewerkschaften gemacht habt?

2- Die PKK und Öcalan werden nicht als Ansprechpartner anerkannt.
Bis heute habt ihr nicht erklärt, was ihr bei den früheren Verhandlungen mit Öcalan und anderen Vertretern der PKK vereinbart habt. Öcalan und die anderen hattet ihr bereits zum Verhandlungspartner erklärt und vollzieht heute ohne Angabe von Gründen eine Kehrtwende. Wenn die Bevölkerung über diese Verhandlungen nicht informiert wird, kann sie sich dazu auch nicht positionieren. Wenn man die wahren Vertreter der Kurden vor die Tür setzt, wird man bei den Verhandlungen keinen Erfolg erzielen. Historisch gibt es für das Gegenteil keine Belege.

3- Die kurdischen Bürger werden aus dem Joch der PKK und KCK befreit.
Ihr versucht uns weiß zu machen, dass sich die Kurden zu Hunderttausenden an Protesten beteiligen, weil sie von der PKK bedroht und dazu gezwungen werden. Wie könnt ihr dann erklären, dass trotz aller Repressionen, Chancenungleichheit, Verbote und der Zehn-Prozent-Hürde, die Kurden diese überwinden und 36 Vertreten ins Parlament entsenden konnten? Hier von einem Joch der PKK und KCK zu sprechen, kommt -milde ausgedrückt- dem Verlust des Realitätssinns gleich.

4- Das Volk wird unmittelbar zum Verhandlungspartner und es wird eine Lösung mittels ziviler Politik gefunden.
”Das Volk zum unmittelbaren Verhandlungspartner zu machen“, ist lediglich Ausdruck des Versuchs, die gewählten Vertreter und seine politische Partei aus dem Prozess auszuschließen. Welches Volk wollt ihr zum unmittelbaren Verhandlungspartner machen? Wie wollt ihr dieses „Volk“ finden und beauftragen?
Dies ist nichts anderes als der Verzicht auf Verhandlungen. Ihr werdet den letzten Funken Glaubwürdigkeit verlieren, wenn ihr systemtreue Akteure aus dem Hut zaubert und zu Verhandlungspartnern erklärt.

5- Das Parlament wird der einzige Ort der Problemlösung sein. Demokratisch gewählte Parlamentarier, die nicht von Öcalan und PKK gelenkt werden und deren Parlamentarier werden als Verhandlungspartner anerkannt.
Das Parlament zum einzigen Ort der Problemlösung zu machen, war bis dato auch die Forderung der BDP. Weite Bevölkerungsteile hatten sich an die Hoffnung geklammert, die kurdische Frage parlamentarisch zu lösen. Die AKP-Regierung, die seit den Wahlen im Juni 2012 wie eine Kriegsregierung auftritt, hat nichts unternommen, um die kurdische Frage zu lösen und die gewählten BDP-Parlamentarier als politische Vertreter der kurdischen Bevölkerung an den Verhandlungstisch zu bekommen. Die BDP gehört zu den Parteien, die ihr als Ansprech- und Verhandlungspartner anerkennen müsst. Mit der Einschränkung „nicht von Öcalan und der PKK gelenkt“ schließt ihr die BDP-Abgeordneten von vornherein als Ansprechpartner aus. Andere Parlamentarier und Parteien finden zu wollen, ist ein Versuch, der ebenfalls von vornherein zur Erfolglosigkeit verurteilt ist.

6- Solange die PKK den bewaffneten Kampf führt, werden die Militäroperationen weitergeführt.
Die PKK erklärte in der Vergangenheit unzählige Male die Einstellung der Feuergefechte und Waffenstillstand ihrerseits. Doch diese wurden vom Staat nicht erwidert. Seit über dreißig Jahren setzt ihr auf Krieg und Gewalt. Werdet ihr eine erneute Waffenstillstandserklärung seitens der PKK tatsächlich erwidern und eure Militäroperationen einstellen?

7- Die Aufnahme erneuter Verhandlungen mit der PKK wird nur mit dem Ziel erfolgen, dass sie ihre Waffen niederlegt.
Warum gibt es keine Lösungspakete des Staates mit dem Ziel, dass die PKK ihren bewaffneten Kampf einstellt? Warum erbringt der Staat keine Gewährleistung für Friedensinitiativen, die den Forderungen des kurdischen Volkes entsprechen? Dabei wäre es gerade jetzt, wo es Feuergefechte mit zahlreichen Todesopfern auf beiden Seiten gibt und man mit einer Verschärfung der Situation rechnet, der richtige Zeitpunkt für solche Initiativen.

8- Es wird festgelegt, wie man mit PKK-Kämpfern nach der Waffenniederlegung umgehen wird.
Wie man mit einer Gruppe von PKK-Kämpfern umging, die vor nicht einmal zwei Jahren ohne Waffen ins Land kamen, ist den meisten bestimmt noch in Erinnerung. Die Gefängnisse sind heute gefüllt mit Menschen, die lediglich Demokratie und Frieden forderten. Auch dieses Versprechen wird niemanden überzeugen, solange keine Schritte für die Demokratisierung des Landes und die friedliche Lösung der kurdischen Frage unternommen und die Bedingungen, die zu dem bewaffneten Konflikt führen, beseitigt worden sind.

9- In der neuen Verfassung wird es keine Regelung geben, die die kurdische Identität und Autonomie anerkennt. Die neue Verfassung wird die Menschenrechte und die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz zur Grundlage machen.
Weshalb brauchen wir eine neue Verfassung, die die kurdische Identität nicht anerkennt, kein Recht auf Bildung in kurdischer Sprache gewährt und den Status der Kurden definiert? Angeblich hatte auch die Verfassung, die nach dem Militärputsch durchgesetzt wurde, die Menschenrechte und Gleichheit der Bürger als Grundlage.

10- Kommunalverwaltungen werden gestärkt, diesbezügliches internationales Recht wird befolgt.
Heute stehen Kommunalverwaltungen auf der Zielscheibe staatlicher Übergriffe. Wie man mit Kommunalpolitikern umgeht, mit welchen Schwierigkeiten die Provinzverwaltung in Van nach dem Erdbeben zu kämpfen hatte, ist allseits bekannt. Die Kommunalverwaltungen werden daran gehindert, ihre bereits bestehenden Rechte wahrzunehmen. Die Vertreter des Staates behindern in den kurdischen Provinzen die gewählten Volksvertreter mit aller Macht in der Ausübung ihrer Arbeit.

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