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NSU-Prozess in der neuen Runde

René Heilig

Der sogenannte NSU-Prozess vor dem Münchner Oberlandesgericht wurde nach einer zweiwöchigen Pfingstpause fortgesetzt. Nach der Debatte über zahlreiche Anträge begann einer der Angeklagten auszusagen. Carsten Schultze wird vorgeworfen, die wichtigste Mordwaffe an das Terrortrio des Nationalsozialistischen Untergrundes übergeben zu haben.

Der Angeklagte Schultze war unter dem ebenfalls als NSU-Helfer angeklagten Ralf Wohlleben Funktionär der rechtsextremen Partei NPD. Er spielte auf Bundes- und Landesebene eine Rolle in der Jugendorganisation JN. Schultze gab an, aus der Naziszene ausgestiegen zu sein, nachdem ihm klargeworden ist, dass er als Schwuler dort fehl am Platze sei.

Beobachter mussten gestern lange warten, bis die Verhandlung sich dem eigentlichen Gegenstand nähern konnte. Los ging es mal wieder mit der sattsam bekannten Antragsstrategie der Verteidigung. Anja Sturm, eine mit der Verteidigung von Beate Zschäpe beauftragte und dabei höchst beflissene Rechtsanwältin, brachte einen neuen ein: Inhalt: »Aufgrund der gezielten, von den Strafverfolgungsbehörden selbst gesteuerten und betriebene Vorverurteilung unserer Mandantin« sei ein fairer Prozess nicht mehr durchführbar. Ergo: Schluss damit! Der »Sturmlauf« dauerte eine Stunde und zehn Minuten. So lange brauchte die Verteidigerin, um zu erklären, wieso aus ihrer Sicht zu befürchten sei, dass Zeugen durch Äußerungen des Generalbundesanwaltes, des Präsidenten des Bundeskriminalamtes und durch allerlei verantwortliche Politiker beeinflusst werden könnten. Auch in den parlamentarischen Untersuchungsausschüssen sei »eine manifeste Vorverurteilung« ihrer Mandantin vorgenommen worden. Man habe Zschäpe wiederholt als »Mitglied einer Mörderbande« bezeichnet, »ohne dass in den Äußerungen überhaupt zum Ausdruck kam, dass es sich um einen Tatverdacht handelt«.

Verwiesen wurde auch auf fehlende oder geschredderte Akten, die eine wichtige Grundlage zur Beurteilung der Vorwürfe seien. Zugleich kritisierte die Verteidigung der Hauptangeklagten, dass kein Verfahrensbeteiligter sich ein Bild über die Vielzahl und die Rolle von sogenannten Vertrauenspersonen machen kann, die im Umfeld der Angeklagten als Spitzel gewirkt haben. Verwiesen wurde auf Leute wie Tino Brandt (Deckname »Otto«), Thomas Richter (»Corelli«), auf Thomas Starke, (VP 562 des Berliner Landeskriminalamtes), Kai Dalek aus Bayern oder auf Carsten Szeczepanski alias »Piatto« aus Brandenburg. Nun sei in Baden-Württemberg ein »Krokus« erblüht.

Die Fakten sind nicht aus der Luft gegriffen Und es stimmt auch, dass man die Kenntnisse über V-Leute und mache Operation der geheimen Dienste zumeist durch Medien erlangte, denn die Sicherheitsbehörden hätten Quellenschutz zumeist über das Aufklärungsinteresse gestellt.

Die Bundesanwaltschaft beurteilte ebenso wie Vertreter der Nebenklage den Antrag der Zschäpe-Verteidigung als unbegründet. Ein weiter Antrag, diesmal aus den Reihen der Nebenkläger, betraf die Prozessbeobachtung durch Vertreter des Bundeskriminalamtes und des Bundesamtes für Verfassungsschutzes. Beide Behörden hatten die Entsendung von Mitarbeitern schriftlich angekündigt, um weitere Erkenntnisse zu gewinnen und Partner wie beispielsweise Staatsschutzabteilungen in den Ländern zu informieren. Eine solche Vorgehensweise sei, so der Tenor des Antrages, im Interesse einer geordneten Prozessführung nicht tolerierbar.

Die Verteidiger von Zschäpe und Wohlleben schlossen sich dem Antrag an. Und der Vorsitzende fragte in die Runde: »Sind behördliche Beobachter im Saal?« Eine Antwort bekam der Vorsitzende Richter natürlich nicht. Dennoch verweigerte eine Anordnung, mit der Mitarbeiter von Geheimdiensten generell von der Prozessbeobachtung ausgeschlossen werden.

 

Gegen 16 Uhr kam es zur Vernehmung des ersten Angeklagten. Carsten Schultze schilderte sein Heranwachsen in Jena, wie er merkte, dass er sich zu Männern hingezogen fühlte und quasi parallel zu seinen verzweifelten Bemühungen, nicht zuzulassen, dass etwas mit ihm »nicht stimmte«, hineingeschlittert ist in die rechtsextreme Szene. Namen bekannter Neonazis wie die der Gebrüder Kapke fielen. Als der Mitangeklagte »Herr Wohlleben« sich einmal abwertend über Schwule ausgelassen hat, war Schultze klar, dass sein Platz nicht bei den Neonazis sein konnte. Dennoch: Schultze, so sagt die Anklage, hat die Waffe besorgt, mit der neun Menschen hingerichtet worden sind.

 

* “neues deutschland”

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