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Rechtsterrorismus bekämpfen – Verfassungsschutz auflösen

von Ulla Jelpke*

Während jedes brennende Auto in Berlin für die Regierungsfraktion als Beleg der Entstehung einer neuen RAF herhalten muss, konnte eine Naziterrorzelle über ein Jahrzehnt lang im Untergrund morden, Banken überfallen und Bomben basteln.  Auf das Konto des „Nationalsozialist-ischen Untergrunds“ (NSU) geht offenbar unter anderem die Mordserie an neun migrantischen Kleinunternehmern sowie der Mord an einer Polizistin. Das Nazi-Trio, dessen zwei männliche Mitglieder Suizid begangen haben sollen, kam nicht ohne ein größeres Netzwerk legal lebender Helfer aus der Naziszene aus.
Noch ist unklar, welche Rolle die Verfassungsschutzämter mit ihren V-Leuten in der Naziszene genau gespielt haben. Waren sie – fixiert auf den angeblichen Feind von links – einfach blind für den rechten Terror? Haben sie absichtlich beide Augen vor dem abgetauchten „Nationalsozialistischen Untergrund“ zugedrückt? Oder haben sie diesen gar aktiv unterstützt? Nichts kann mehr ausgeschlossen werden. Sicher ist: die nach dem Bau von Rohrbomben vor den Fahndern in den Untergrund abgetauchte dreiköpfige Nazizelle gehörte Ende der 90er Jahre dem neofaschistischen „Thüringer Heimatschutz“ an, der von einem hochbezahlten V-Mann des thüringischen Verfassungsschutzes geführt wurde. Und ein Mitarbeiter des Hessischen Verfassungsschutzes, der in seinem Heimatort als „Kleiner Adolf“ bekannt war, wurde nachweislich bei einem der Mordfälle am Tatort, einem Internetcafe, gesichtet. Nur ein Zufall? Wollte er wirklich nur Pornos gucken und hat sich darum anschließend nicht bei der Polizei als Zeuge gemeldet? All diese und zahlreiche weitere Fragen müssen umfassend und vor allem öffentlich aufgeklärt werden – jenseits von den zur Verschwiegenheit verpflichteten Parlamentarischen Kontroll-gremien von Bund und Ländern.
Der Verfassungs-schutz dient nicht dem Schutz der Grundrechte, sondern wurde schon im Kalten Krieg als strikt antikommunistisch ausgerichteter Geheimdienst unter aktiver Beteiligung von Altnazis gegründet. Aus den gleichen Kreisen gründete sich Ende der 60er Jahre die NPD. Es waren oft alte Kameraden: diejenigen, die als V-Leute des Dienstes in der NPD Staatsgelder kassierten und ihre Führungsbeamten im Geheimdienst.
Zur Bekämpfung von Neofaschismus und Rechtsterrorismus ist der Verfassungs-schutz damit mehr als ungeeignet. Er ist der sprichwörtliche Bock, der zum Gärtner gemacht wurde. Die Zahl und die Kosten aller V-Leute der Verfassungsschutzämter in der gesamten rechten Szene müssen jetzt umgehend veröffentlicht werden. Diese V-Leute, die in ihrer Mehrheit als staatlich finanzierte Nazihetzer zur Stärkung der NPD und der neofaschistischen Szene beitragen, müssen umgehend abgeschaltet werden. Dies ist zugleich die Voraussetzung für ein erfolgreiches NPD-Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht. Denn das letzte derartige Verfahren scheiterte 2003 an der – so das Gericht – „mangelnden Staatsferne“ der von Geheimdienstmitarbeitern durchsetzten NPD-Vorstände.
Geheimdienste sind nicht demokratisch kontrollierbar. Soviel hat die Affäre um die Zwickauer Naziterrorzelle erneut bewiesen. Doch Innenpolitiker der Regierungsparteien fordern jetzt als Konsequenz aus einem angeblichen Versagen der Landesverfassungsschutzbehörden deren Zentralisierung und Straffung. Zudem soll analog zum Bereich „islamistischer Terrorismus“ ein Lagezentrum zum Rechtsterrorismus entstehen, in dem die Daten von Polizei und Geheimdiensten zusammenlaufen. Beides läuft auf eine Stärkung der Geheimdienste und eine weitere Verwischung des Trennungsgebots von Polizei und Geheimdiensten heraus. Notwendig ist das Gegenteil: die Auflösung des Verfassungsschutzes.
Und wir dürfen in der ganzen Debatte die Opfer dieser Nazimörderzelle nicht aus dem Auge verlieren. Die Familien der Ermordeten – ebenso wie die durch Bombenanschläge Verletzten und geschädigten in Köln – müssen auch finanziell entschädigt werden. Den Ermordeten gilt es zu gedenken – ebenso wie den rund 140 weiteren Todesopfern rassistischer und faschistischer Gewalt seit der Wiedervereinigung.

*Innenpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke.

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