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Integration, Islamkritik und Kulturrassismus in Deutschland

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Klaus J. Bade *

Integration ist, manchen Fehlinformationen zum Trotz, in Deutschland viel besser als ihr Ruf, auch im internationalen Vergleich. Es gibt auch Schattenseiten. Das sind zwar nur Ausnahmen, die die Regel bestätigen. Aber die Ausnahmen sind oft auffällig. Hier liegt die Ursache eines oft falschen Bildes der Integration in Deutschland:
Gelingende Integration ist meist unauffällig. Man merkt gar nicht, dass sie sich vollzieht. Auffällig sind nur die Betriebsunfälle. Und über die wird dann in den Medien berichtet. Das dadurch entstehende Bild ist von der Wirklichkeit oft so weit weg wie ein Bericht aus der Geisterbahn. Aber es gibt in der Einwanderungsgesellschaft in Deutschland ein kulturelles Paradox.
Integration und Kulturparadox
Ständig wächst in Deutschland die Akzeptanz der kulturellen Vielfalt. Bei der schrumpfenden Zahl derer aber, die diese kulturelle Vielfalt für Teufelswerk halten und mit dem kulturellen Untergang verwechseln, wächst dafür umso mehr die Angst davor.
Dadurch entsteht eine Art kulturelle Spaltung in der Einwanderungsgesellschaft: Auf der einen Seite die wachsende Zahl der Kulturoptimisten bzw. Kulturpragmatiker, die die kulturelle Vielfalt als alltägliche Lebenswirklichkeit akzeptieren; auf der anderen Seite die schrumpfende, aber umso lauter agitierende Zahl der Kulturpessimisten bzw. Kulturpaniker, die diese wachsende Akzeptanz der kulturellen Vielfalt für kulturellen Landesverrat halten.
Diese Angst vor kultureller Vielfalt hat viel mit Irritationen durch den rasanten und eigendynamischen Wandel in der Einwanderungsgesellschaft zu tun, die aus dem Zusammenwachsen von Mehrheitsbevölkerung und Einwandererbevölkerung entsteht. Dabei verändern sich Strukturen und Lebensformen ständig und von Grund auf. Das macht vielen Menschen mentalen Stress und kulturelle Angst. Viele fühlen sich als „Fremde im eigenen Land“.
Politik hat sich erst spät, dann aber umso intensiver um „die Integration der Migranten“ gekümmert. Aber sie hat dabei die kulturellen Irritationen in der Mehrheitsbevölkerung übersehen. Das ist ein folgenreiches Versäumnis in der Gesellschaftspolitik.
Die Ängste vor „fremden Kulturen“ werden oft auf den Islam und die Muslime projiziert, die innerhalb der Einwandererbevölkerung in Deutschland für die Kulturpessimisten bzw. Kulturpaniker die Inkarnation des Fremden sind. Muslime sind in Deutschland die größte, vor allem aus der Türkei stammende, Einwanderergruppe. Sie umschließt heute drei, mitunter auch schon vier Generationen. Sie zählt mehr als 4 Millionen Menschen, von denen rund die Hälfte deutsche Staatsbürger sind.
Islamfeindschaft und Muslimskepsis wurden in Deutschland durch die sogenannte Islamkritik verstärkt, die sich im Schatten der Sarrazin-Debatte 2010/11 erheblich verstärkte. Sie hatte aber schon ältere Wurzeln.
Die Wurzeln der neueren Islamkritik
Die Diskussion um den islamistischen Fundamentalismus war von der Iranischen Revolution 1978/79 ausgegangen. Die in der europäischen Kulturgeschichte virulente Islamskepsis wurde neu belebt durch diese Erfahrung der Politisierung einer fundamentalistischen Bewegung. Die damit verbundenen konkreten Sorgen, diffusen Ängste und Vorurteile schienen ihre welthistorische Bestätigung in dem Attentat vom 11. September 2001 zu finden. Sie durchzogen fortan das ganze erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts und belasteten zunehmend auch das Verhältnis zu eingewanderten Muslimen.
Dabei spielten die Medien eine entscheidende Rolle: „Unheimliche Gäste. Die Gegenwelt der Muslime in Deutschland“ hatte z.B. der Titel eines Focus-Heftes 2004 geheißen. Zur Zeit des islamfeindlichen Spiegel-Chefredakteurs Stefan Aust gab es 2007 ein düsteres Spiegel-Cover „Mekka Deutschland. Die stille Islamisierung“. Die Illustrierte Der Stern wetteiferte im gleichen Jahr mit einer Titelstory „Wie gefährlich ist der Islam?“. 2009 titelte der Focus „Die deutsche Islamisten-AG. Wie Fanatiker den Terror planen“. Viele andere einschlägige Beispiele ließen sich nennen.
Neben und in Überschneidung mit solcher alarmistischen Berichterstattung in den Medien arbeitete eine zunehmend weiter verzweigte islamfeindliche Publizistik und Internet-Agitation. Ihre Vertreter gerierten sich gern in der Rolle uneigennütziger mutiger, angeblich von einer Allmacht von Sittenwächtern der „Political Correctness“ bedrängter Künder der Wahrheit. In Wirklichkeit betrieben sie ein sehr risikoarmes, weil allseits beliebtes und sehr einträgliches publizistisches Geschäft. Die oft kulturrassistisch geprägte sogenannte Islamkritik entwickelte sich rasch zu einem bestsellerverdächtigen Thema am Markt der Meinungen.
Islamkritik und Kulturrassimus
„Kulturrassismus“ meint heute nicht mehr den klobigen alten rassenbiologistischen Begriff aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert und schließlich aus der Blut- und Bodenideologie des Nationalsozialismus. Im Gegensatz zu diesem biologistischen Rassedenken geht es in den heute expandierenden kulturrassistischen Diskursen nicht mehr um die Zuschreibung angeblich kollektiver Rasseeigenschaften. Statt Rassen geht es heute zumeist um sogenannte „Kulturen“. Denen werden aber in gleicher Weise mehr oder minder unveränderliche Kollektivmentalitäten zugeschrieben, die nun nicht mehr rassisch, sondern angeblich „kulturell“ geprägt sind.
Die Rede von imaginierten Kulturgruppen mit angeblich kollektiven Mentalitäten gilt z.B. bei der kulturrassistischen Islamkritik für die Rede von „der islamischen Kultur“, von „dem Islam“ oder gar von „den Muslimen“, die es bekanntlich allesamt in dieser Pauschalisierung gar nicht gibt.
Kulturrassismus ist auch Rassismus
Es gibt aber durchaus fließende Grenzen zwischen kulturrassistischen Zuschreibungen und dem klassischen, genetisch argumentierenden Rassismus. Ein geradezu bühnenreifes Beispiel für ein argumentatives Versteckspiel mit versehentlicher Selbstentlarvung lieferte hier Thilo Sarrazin:
Er berichtete in seinem 2010 erschienenen und innerhalb weniger Monate eine Massenauflage von mehr als einer Million verkaufter Exemplare erreichenden Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ sowie in seinen Vorträgen und Interviews zuerst immer wieder genetisch über „die“ angeblich weniger intelligenten Muslime und sogar über das intellektuell schwache „Muslim-Gen“ mit seinen volksverdummenden Folgen für Deutschland. Nachdem mehr als eine Million Exemplare seines Bestsellers verkauft waren, ersetzte er stillschweigend das vielfach kritisierte Wort „genetisch“ durch das Wort „kulturell“.
Mit der Gleichsetzung von „genetisch“ und „kulturell“ aber enthüllte Sarrazin selber unversehens die fließende Grenze zwischen Rassismus und Kulturrassismus. Er demonstrierte damit am eigenen Beispiel, dass Kulturrassismus eben auch eine Form von Rassismus ist.
Islamfeindschaft als einigendes Band rechtspopulistischer Strömungen
Der antiislamische Kulturrassismus ist heute das einigende Band aller rechtspopulistischen, rechtsextremistischen und neonationalsozialistischen Strömungen in Deutschland und in Europa. Dies ist eine eminent gefährliche Entwicklung, bei der sich immer deutlicher auch eine transnationale Parteibildung abzeichnet: Der niederländische antiislamische Agitator Geert Wilders versucht zur Zeit, ein quer durch Europa gehendes Bündnis aller antiislamischen, aber auch zuwanderungsfeindlichen und europakritischen Bewegungen zustande zu bringen. Und es sieht aus, als ob er damit bis zu den im Mai 2014 anstehenden Europawahlen erfolgreich sein könnte.
Wenn ein solches Bündnis der Islam-, Einwanderungs- und Europafeinde etabliert werden kann, könnte es im neu gewählten europäischen Parlament nach Schätzungen bis zu 20 Prozent der Sitze erreichen. Das wäre verhängnisvoll für Europa insgesamt und für die Einwanderungsgesellschaften in seinen Mitgliedsstaaten.

 

* Prof. Dr. Klaus J. Bade ist Migrationsforscher, Publizist und Politikberater. Er lehrte bis 2007 Neueste Geschichte an der Universität Osnabrück und lebt seither in Berlin (www.kjbade.de). Dem hier behandelten Thema gilt sein neues Buch: ‚Kritik und Gewalt. Sarrazin-Debatte, ‚Islamkritik‘ und Terror in der Einwanderungsgesellschaft, Schwalbach i. T. 2013, 400 S.

 

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