Written by 11:57 HABERLER

Wiederauferstehung eines Traums: Der Kobani-Widerstand

 

Der Ararat-Aufstand gehört zu den wichtigsten Rebellionen der Kurden in der Ära der Republik. Nach seiner blutigen Niederschlagung wurde im September 1930 eine Karikatur veröffentlicht, in der ein Grabstein auf dem Gipfel von Ararat mit der Inschrift zu sehen war: “Hier ruht der Traum von Kurdistan” Kurdistan, d.h. das Selbstbestimmungsrecht der Kurden war lediglich eine Illusion, die auf dem Gipfel von Ararat begraben wurde. Über 90 Jahre nach dem Ararat-Aufstand bezeichnete der Ex-Berater des früheren Ministerpräsidenten Yalçın Akdoğan, der heute als Vizepremier die Funktion des Dialog-Beauftragten der Regierung übernommen hat, die von den Kurden in Syrisch-Kurdistan (Rojava) gegründeten demokratischen Kantone als eine “Illusion”. Nach seiner Ansicht führte diese Illusion unter den Kurden dazu, dass sie sich im Rahmen des Lösungsprozesses unzufrieden und frech verhalten. Trotz der zurückliegenden Jahrzehnte hatte sich im Denken des Staates nichts geändert. Dass die Kurden ihre Rechte erkämpfen könnten, könnte lediglich eine Illusion sein. Diese Illusion würde dazu führen, dass die Kurden trotz all der Rechte, die der Staat ihnen “zugestanden” habe, gering schätzen würden.

DIE ROLLE DER AKP ALS REGIONALER FÜHRER
Welche aktuellen Entwicklungen führten dazu, dass die Kurden einer neuerlichen Illusion verfielen?
Die Schritte, die die imperialistischen Mächte seit 2011 unternahmen, um die Volksbewegungen in den arabischen Ländern auf ihre Seite zu ziehen, hatten auch die AKP-Regierung mobilisiert. Sie startete Initiativen für eine Intervention in Syrien, um die von den USA zugewiesene Rolle einer “regionalen Führungsmacht” zu erfüllen. Flankiert wurden diese Initiativen von politischen und militärischen Operationen gegen die kurdische Bewegung im eigenen Land. Die Herrschenden in der Türkei verschrieben sich mit neo-osmanischen Begierden dem Ziel, das Assad-Regime zu stürzen und zu einer gestaltenden Macht in der Region zu werden. Gleichzeitig sollte verhindert werden, dass die Kurden in Syrisch-Kurdistan (Rojava) ihre Autonomie zu sehr ausbauen. Damit versuchten sie auch, eine neue Front gegen die kurdische Bewegung im eigenen Land zu eröffnen und sie mit dieser Belagerung zu vernichten. Obwohl sie gemeinsam mit Saudi Arabien und Katar der syrischen Opposition, darunter Al-Qaida und die Freie Syrische Armee, jede erdenkliche Hilfe zukommen ließen, ging ihre Rechnung nicht auf, das Assad-Regime innerhalb von 4-5 Monaten zu stürzen. Auf der anderen Seite übernahmen die Kurden ab Juli 2012 zunächst in Kobani, danach in anderen Städten in Rojava die Führung. Dass zwischen dem Iran und der PJAK (Partei für ein Freies Leben in Kurdistan) ein Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet wurde, eröffnete der PKK neue Möglichkeiten, die Grenze ungehindert zu passieren und brachte sie in die Situation, dass sie beinahe einen “Frontenkrieg” gegen den Staat aufnehmen könnte. Das Dilemma, in das die AKP in Syrien und Rojava geraten war, machte in der kurdischen Frage im eigenen Lande eine “Weiter-So-Politik” unmöglich, was schließlich Anfang 2013 den Weg für die Aufnahme von Gesprächen mit Öcalan ebnete.

DER LÖSUNGSPROZESS IN DER TÜRKEI UND ROJAVA
Der Gespräche wurde immer mehr davon abhängig, wie sich die Ereignisse Ausgang der aufgenommenen in Rojava weiterentwickeln würden. Um den Plan der AKP, der keinen neuen Status für die Kurden vorsah, umsetzen zu können, mußte deshalb der Traum von einem Status der Kurden in Rojava zunichte gemacht werden. Der damalige Außenminister Davutoğlu, der sich angesichts der Massaker von Al-Nusra und ISIS in den eroberten Gebieten Syriens ins Schweigen hüllte, bezeichnete die von den Kurden unter der Führung von PYD gegründeten demokratischen Kantone als einen “nicht akzeptablen Schritt”. Um das zu verhindern, würde der Staat alles Erdenkliche tun. So kam es dann auch. Zunächst fing man in Zerekaniye an. Ceylanpınar wurde für die Truppen von Al-Qaida zu einem Stützpunkt für ihre Angriffe auf Zerekaniye gemacht. Man gewährte ihnen militärische Ausbildung, übernahm den Transport ihrer Waffen und bot jegliche logistische Unterstützung an. Trotzdem konnte der Traum in Rojava nicht zunichte gemacht werden.

ISIS, DIE TÜRKEI UND KOBANE
Nachdem die ISIS im Irak aus den konfessionelle Spannungen und Konflikten verstärkt hervorgegan war und Mossul ohne Gegenwehr eingenommen hatte, waren die Voraussetzung für den finalen Schlag geschaffen. Durch die in Mossul erbeuteten schweren Waffen aus den Beständen der irakischen Armee nahm man sich das vermeintlich “schwächste Glied der Kette” vor: Kobani. Diese Stadt war der kleinste Kanton, der auf drei Seiten durch ISIS und im Norden durch die Türkei belagert war. Der Traum der Kurden würde wie damals auf dem Ararat wieder einmal in einem September begraben. Die Belagerung Kobanis durch ISIS begann am 16. September. Staatspräsident Erdoğan erklärte selbstsicher: “Kobanis Fall ist eine Frage der Zeit!” Allerdings kapitulierten die Kurden, die das Vertrauen aller vor der ISIS geflohenen Völker genossen, nicht vor den übermächtigen Gegnern und schweren Geschützen und Panzern. Trotz aller Proteste hielt die Türkei ihr Embargo gegen Kobani aufrecht. Die USA, die die ISIS bei ihren Interventionen im Nahen Osten als eine Stütze eingesetzt hatten, schauten den Angriffen tatenlos zu, obwohl sie eine “Anti-IS-Koalition” gebildet hatten. Kobani wurde inzwischen mit dem Widerstand nicht nur in Kurdistan, sondern in der gesamten Region und der ganzen Welt zu einem Hoffnung spendenden Symbol im Kampf der Völker gegen Barbarei und Reaktion. Der Versuch des Imperialismus und der Reaktion die Revolution in Rojava von Kobani ausgehend niederzuschlagen, wurde mithilfe der Proteste vom 6. und 7. Oktober in Kurdistan und weltweiten Solidarität zurückgeschlagen.

EINE KRAFT, DIE MAN NICHT IGNORIEREN KANN
Die USA, deren “Anti-IS-Koalition” immer mehr in Kritik geriet, sahen sich schließlich gezwungen, die IS-Stellungen in Kobani zu bombardieren. Erdoğan sagte zwar weiterhin, für ihn gebe es keinen Unterschied zwischen dem IS und der PYD, aber der Wind hatte sich längst gedreht. Das Embargo gegen Kobani wurde unterlaufen und der Türkei blieb nichts anderes übrig, als der Hilfe von Peshmerga in Kobani zuzustimmen. Dabei rechnete sie sich aus, dass sie die kurdische Führung im Irak als ein Gleichgewicht gegen die PYD einsetzen könnte. Die Kurden, deren Traum zunichte gemacht werden sollte, wurden bei der Infragestellung der von vor Hundert Jahren gezogenen Grenzen in der Region zu einer Kraft, die man nicht ignorieren kann.

Es ist Zeit für die Einheit der demokratischen Kräfte
Die Imperialisten und reaktionäre Kräfte in der Region versuchen uns weißzumachen, das Selbstbestimmungsrecht der Völker sei ein unerfüllbarer Traum. Der Kobani-Widerstand verheißt uns jedoch die Einleitung einer Ära, in der dieser Traum in Erfüllung gehen wird. Dieser Widerstand läßt den Traum von einer Zukunft auferstehen, in der die verschiedenen Völker und Glauben brüderlich zusammenleben können – trotz der Religions- und Konfessionskriege und Konflikte, die von den Imperialisten und der Reaktion angezettelt werden. Der Kobani-Widerstand ist die Verwirklichung dieses Traums.
Heute hat sich der IS aus Kobani zurückgezogen. Genauso hat sich auch die AKP vor den anstehenden Wahlen im Jahre 2015 in die Innenpolitik zurückgezogen, um ihre Herrschaft wieder zu festigen. Es ist an der Zeit, dass sich die Arbeiterbewegung und demokratischen Kräfte im Kampf vereinigen, damit die AKP auf dieser letzten Stellung in der Schlacht eine Niederlage erleidet.

Yusuf KARATAŞ

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